Georgien rechnet nicht damit Transitland für Flüchtlinge zu werden
Wien (APA) - Der georgische Außenminister Micheil Dschanelidse geht nicht davon aus, dass sein Land zu einem wichtigen Transitland für Flüch...
Wien (APA) - Der georgische Außenminister Micheil Dschanelidse geht nicht davon aus, dass sein Land zu einem wichtigen Transitland für Flüchtlinge und Migranten von der Türkei nach Europa werden könnte. „Wir sehen da keine mögliche Bedrohung Europas, die in Sachen Migration von Georgien kommen könnte“, sagte er am Mittwoch im Gespräch mit der APA in Wien.
Rund um die Schließung der Balkanroute war die Internationalen Organisation für Migration (IOM) im Februar davon ausgegangen, dass sich Flüchtlinge u.a. auch einen Alternativweg via den an die Türkei grenzenden Südkaukasus-Staat Georgien und dann weiter über das Schwarze Meer oder Russland nach Mitteleuropa suchen könnten. Laut Außenminister Dschanelidse sind „ein paar Tausend Migranten“ nach Georgien gekommen. Diese würden „ohne jegliche Herausforderung für die Sicherheit Georgiens oder seiner Nachbarländer“ betreut.
Angesprochen auf einen möglichen Massenzustrom an Flüchtlingen, verwies der 35-jährige Politiker auf den georgischen Grenzschutz, der deutlich verstärkt worden sei, um die Kriterien der EU für eine Aufhebung der Visapflicht zu erreichen: „Wir sind dabei sogar über die verlangten Reformen hinausgegangen.“
Die EU-Kommission hatte im März die Visabefreiung für Georgier empfohlen. Weitere Entscheidungen auf EU-Ebene stehen noch aus. Nach Ansicht Dschanelidses sollte seinem Land diese nun „ohne Verzögerung“ zugestanden werden. „Wir rufen den Rat und das EU-Parlament auf, so bald wie möglich einen Beschluss zu fassen. Wir denken, es handelt sich um eine Angelegenheit der kommenden Monate.“
Die Befreiung von der Visapflicht wäre zweifelsohne ein Erfolg, den die regierende Parteienkoalition Georgischer Traum gut gebrauchen könnte, um ihn vor der Parlamentswahl Anfang Oktober vorzuweisen. Dem seit Ende 2012 regierenden Bündnis sind mehrere Partner abhandengekommen. So sind etwa die Freien Demokraten im Streit ins Oppositionslager gewechselt. Die Republikaner stimmten jüngst im Parlament entgegen der Regierungslinie gegen eine umstrittene Reform des Verfassungsgerichts. Kurz vor Weihnachten war Irakli Garibaschwili als Ministerpräsident ohne Begründung zurückgetreten. Beobachter brachten wirtschaftliche Probleme, die Opposition vor allem schlechte Umfragwerte ins Spiel.
Dabei hatte sich die Regierung in Tiflis gerade von dem 2014 mit der EU geschlossenen Assoziierungsabkommen samt erweitertem Freihandelsvertrag einen wirtschaftlichen Aufschwung erwartet, der auch bei den Bürgern ankommt. Laut Dschanelidse sind die Investitionen sehr wohl klar gestiegen und die Arbeitslosigkeit zurückgegangen. Dennoch sieht sich der Gründer von Georgischer Traum, der Milliardär und Ex-Premier Bidsina Iwanischwili, offenbar genötigt, dem neuen Ministerpräsidenten Giorgi Kwirikaschwili im Wahlkampf beizustehen, wie er vor wenigen Tagen ankündigte. Obwohl er sich offiziell aus der Politik zurückgezogen hatte, gilt er nach wie vor als starker Mann im Hintergrund der Regierung.
Darauf angesprochen, zeigte sich Dschanelidse gegenüber APA zuversichtlich für Georgischer Traum hinsichtlich der Parlamentswahl. Über eine mögliche Rückkehr Iwanischwilis in ein offizielles Amt, wollte der Außenminister nicht spekulieren. „Georgischer Traum hat einen neuen, starken Chef, den Ministerpräsidenten (Kwirikaschwili)“, betonte er. Ansonsten habe jeder Bürger das Recht, eine Partei zu unterstützen. „Herr Iwanischwili hat das gute Recht, die Partei, die er gegründet hat, zu unterstützen.“
Neben der EU-Annäherung strebt die frühere Sowjetrepublik Georgien auch einen NATO-Beitritt an. Mit Blick auf Russland betonte Dschanelidse, dass der NATO-Beitritt nicht gegen jemand gerichtet sei. Mit Russland war es 2008 zu einem fünftägigen Krieg gekommen, Moskau anerkannte daraufhin die beiden von Georgien abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten. Der Kreml sieht sich durch eine NATO-Erweiterung in seinen Sicherheitsinteressen beeinträchtigt. Die jüngste Einladung des Verteidigungsbündnisses an Montenegro zum Beitritt - trotz der Kritik Moskaus - sieht Dschanelidse jedenfalls als Beweis für die „Politik der offenen Tür“ der NATO.
Die NATO-Annäherung sieht der Außenminister auch als Motor für Demokratisierung und als Stärkung für Frieden und Sicherheit Georgiens. Gerade die angestrebte EU- und NATO-Integration seines Landes könnten seiner Meinung nach Vertrauen schaffen und Möglichkeiten eröffnen, um die Konflikte um Abchasien und Südossetien zu lösen. Die einzige Möglichkeit sei nämlich „der friedliche Weg“. Am Freitag wird Dschanelidse in Wien mit seinem Amtskollegen Sebastian Kurz (ÖVP) zusammentreffen.
(Das Gespräch führte Martin Richter/APA)
(Alternative Schreibweisen - Mikheil Janelidze, Irakli Garibashvili, Bidzina Ivanishvili, Giorgi Kvirikashvili)
~ WEB http://www.nato.int/ ~ APA453 2016-06-02/15:25