Der Geigenbauer im Fegefeuer der Fantasie
Das Landestheater bringt das Leben des Tiroler Geigenbauers Jakob Stainer als barockes Opernpasticcio auf die Bühne.
Innsbruck –Einmal mehr durchstreift das Tiroler Landestheater die Tiroler Helden- und Mythen-Galerie, wenn am heutigen Samstag das barocke Opernpasticcio „Himmelsgeigen und Höllenfeuer“ uraufgeführt wird. Es widmet sich, so die Ankündigung, dem „abenteuerlichen Leben des Tiroler Geigenbauers Jakob Stainer“, von Theaterautorin Paula Fünfeck und Musikerin Anna-Sophie Brüning mit Musik des in Innsbruck wirkenden Stainer-Zeitgenossen Heinrich Ignaz Franz Biber auf die Bühne gebracht.
Stainers Violinen verkörperten das Klangideal des Barock, was seine Biografie betrifft, gibt es allerdings bis heute nur wenig gesicherte Informationen, nicht einmal die genauen Geburts- und Sterbedaten sind bekannt. In unterschiedlichen Ausformungen überlieferten Stoff für Legendenbildung gibt es dagegen genug: den Prozess wegen des Besitzes lutherischer Bücher zum Beispiel oder das heute noch in einem Absamer Privathaus ausgestellte Stainer-Brett, an das der dem „Wahnsinn Verfallene“ gekettet worden sein soll. Was eine Auseinandersetzung mit dem Leben des Instrumentenbauers aus dem 17. Jahrhundert tatsächlich zu einer abenteuerlichen Angelegenheit macht. Eine historisch korrekte Abbildung sei allerdings nicht das Anliegen von „Himmelsgeigen und Höllenfeuer“, betont das Landestheater. „Wir haben aus historischen Quellen und dem, was uns plausibel erschien, eine Geschichte verdichtet“, sagt Librettistin Fünfeck zur TT. Die Bandbreite reiche dabei, etwa mit dem fiktiven Stainer-Gegenspieler „Flatus Lenz“, vom „Komischen“ bis ins Tragische. Sie habe sich, so Fünfeck, aber vor allem auch für den historischen Hintergrund, also den Dreißigjährigen Krieg, interessiert: Entstehen soll so „ein lebendiges Bild von Jakob Stainer und seiner Zeit“.
Das Bild von Jakob Stainer erfuhr über die Jahrhunderte hinweg freilich auch jede Menge Anpassungen an den jeweiligen Zeitgeist: etwa im 19. Jahrhundert, als er von bürgerlich-deutschnationaler Seite her als „Vater der deutschen Geige“ vereinnahmt wurde. Darauf zurück geht auch ein meist als Stainer-Grabstein missgedeutetes Denkmal in Absam, 1880 mit deutlich deutschnationalem Anstrich feierlich enthüllt.
Auch ein Teil des Museums Absam ist dem berühmten Gemeindesohn gewidmet: Man bemüht sich dort seit geraumer Zeit auch um Zurechtrückung verfälschter Stainer-Bilder. Über das „Stainer-Dickicht“ und „die Schwierigkeit der Biografie“ hat Museumsleiter Matthias Breit auch für das Programmheft von „Himmelsgeigen und Höllenfeuer“ einen Beitrag verfasst. Und zitiert dort etwa den einstigen Haller „Irrenhaus-Kaplan“ Sebastian Ruf (1802–1877), dessen Studien zu Stainer ihn zum Befund veranlassten: „Über keinen Künstler Tirols wurde von jeher so viel Falsches und Unwahres verbreitet als über den berühmten Geigenmacher Jacob Stainer von Absam“. Auch Musikwissenschafter und Stainer-Experte Walter Senn schrieb bereits in den 1950ern recht desillusioniert über all die „Vermutungen, Dichtungen, richtig und mißverständlich ausgelegten Urkunden, üppige und weniger üppige Phantasie, ja sogar Druckfehler“, aus denen Stainers Nachleben besteht.
Was der „phantasievolle Bilderbogen“, den das Landestheater ankündigt, dem hinzuzufügen hat, darüber zeigt sich neben Breit auch Franz Gratl, Kustos der musikwissenschaftlichen Sammlungen im Tiroler Landesmuseum Ferdinandum, eher skeptisch: „Das Aufkochen von Klischees“, so Gratl, würde auch die eigenen Aktivitäten „konterkarieren“. Im Museum mit seiner Sammlung an Stainer-Instrumenten sei man heute viel eher darum bemüht, „Zuschreibungen zu hinterfragen, von Superlativen Abstand zu nehmen und die Beschriftungen in der Ausstellung zu überarbeiten“. Kuriositäten aus der Stainer-Rezeptionsgeschichte aus dem Ferdinandeum werden auch an jenen Themenabenden beleuchtet, die das Gemeindemuseum Absam am 17., 18. und 19. Juni zum Tiroler Geigenbauer veranstaltet.
Als Bühnen- bzw. Opernstoff wurde Jakob Stainer aber übrigens nicht zum ersten Mal entdeckt: 1857 entstand Richard Genées Opern-Einakter „Der Geiger aus Tirol“, uraufgeführt in Leipzig – und auch der 2012 verstorbene Komponist Peter Zwetkoff interessierte sich für den Stoff und begann bereits in den 1970er-Jahren, an einem Libretto für eine Stainer-Oper zu schreiben. Es liegt mit Zwetkoffs Nachlass im Brenner-Archiv. (jel)