Wiener Festwochen: „MDLSX“ erzählt vom Alles und Nichts des Körpers

Wien (APA) - Wer bin ich? Was macht mich zu dem Wesen - privat, gesellschaftlich, sexuell -, als das ich mich fühle? Und wer bestimmt, ob si...

Wien (APA) - Wer bin ich? Was macht mich zu dem Wesen - privat, gesellschaftlich, sexuell -, als das ich mich fühle? Und wer bestimmt, ob sich das ändern lässt? In der lauten, bunten, aber auch einfühlsamen Performance „MDLSX“ wagt sich die italienische Gruppe Motus im Rahmen der Wiener Festwochen an diese Fragen. Silvia Calderoni bittet im Schauspielhaus zum popkulturell aufgeladenen Gefühlsparcours.

Die zehnjährige Kooperation Calderonis mit der in Rimini beheimateten Theatergruppe war der Anlass, „MDLSX“ zu konzipieren. Bei der Österreich-Premiere am Freitagabend wurde man schnell hineingezogen in diese Mischung aus Musikdarbietung, Tagebuch-Intimität und filmischer Qualität. Im Fokus stand dabei stets Calderoni, die das Publikum an einer weitreichenden Suche teilhaben ließ. „Ich wurde zu F bei meiner Geburt. Ohne, dass ich einbezogen wurde“, thematisierte sie ihre Kategorisierung als „female“.

Was aber ist männlich, was ist weiblich und wer urteilt über derartige Kategorien? In rascher Aneinanderreihung gab Calderoni den DJ, spielte Songs von den Yeah Yeah Yeahs, Vampire Weekend oder Placebo, die gleichsam als musikalische Umrahmung der Erzählung dienten wie direkt in diese eingriffen. Sie selbst sah man vorzugsweise mit dem Rücken zum Saal gewandet, dafür mittels Smartphone-Kamera auf eine runde Leinwand über ihrem „Mischpult“ projiziert. Distanz und Nähe wurden damit konterkariert, gegeneinander ausgespielt und lustvoll verknüpft.

Kapitel für Kapitel wurde man Zeuge, wie aus dem sich zusehends in ihrem Körper unwohl fühlenden Mädchen zunächst eine Außenseiterin wird, die von „Hierarchien im Umkleideraum“ erzählt, bis der Bruch folgt, die Haare fallen und „der Gang eines Mannes“ gelernt wird. Jugend, Pubertät, Konfrontationen mit der Familie - all das zog in rascher Abfolge mit Zitaten aus Büchern wie dem titelgebenden „Middlesex“ von Jeffrey Eugenides am Auge des Betrachters vorbei.

Letztlich blieb es schwer zu definieren, wo sich hier Realität und oft poetische Fiktion überlappten. Authentisch war es aber zu jeder Sekunde. Denn vor allem mit einer androgynen Körperlichkeit bestimmte Calderoni nach Belieben das Geschehen, verstand es, provokativ und schüchtern im selben Moment zu sein und die große Last von Unsicherheit und Unverständnis zu vermitteln. Am Ende, nach intensiven und kurzweiligen 80 Minuten, blieb die Erkenntnis: „Ich bin nicht nur Frau oder Mann.“ So gab es an diesem Abend, der „vom unmöglichen Ich“ oder einer „Normalität, die nicht normal ist“ erzählte, verdienten und langen Applaus. „MDLSX“ ist ein seltener Glücksfall, der tief berührt und noch lange nachklingt.

(S E R V I C E - Motus: „MDLSX“, Inszenierung: Enrico Casagrande und Daniela Nicolo, Dramaturgie: Daniela Nicolo und Silvia Calderoni, Ton: Enrico Casagrande, Paolo Panella und Damiano Bagli, Licht und Video: Alessio Spirli. Mit: Silvia Calderoni. In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Schauspielhaus Wien, Porzellangasse 19, 1090 Wien. Weitere Vorstellungen am 4., 5. und 6. Juni. Publikumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung am 5. Juni. www.festwochen.at)