Auf dem Gipfel seines Ansehens - Vieles spricht für Rückzug Gaucks

Berlin (APA/dpa) - Noch ist es nicht offiziell. Ob der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck wirklich seinen Verzicht auf eine zweite Amtsz...

Berlin (APA/dpa) - Noch ist es nicht offiziell. Ob der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck wirklich seinen Verzicht auf eine zweite Amtszeit erklären wird, wie die „Bild“-Zeitung berichtet, bleibt unbestätigt. Allerdings spricht einiges dafür, dass es so kommen wird. Ob es nun am Dienstag passiert, oder an einem anderen Tag, ist nicht entscheidend. Über mögliche Nachfolger darf schon einmal spekuliert werden.

Bis zuletzt haben auch Menschen, die Gauck kennen, eine zweite Amtszeit für möglich gehalten. Der Druck war jeden Tag gewachsen. CDU und CSU, SPD und Grüne, auch die FDP, forderten Gauck zum Weitermachen auf. Und auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) machte aus ihrer Präferenz kein Hehl: Sie hätte sich über eine Verlängerung gefreut, ebenso wie 70 Prozent der Deutschen einer aktuellen Umfrage zufolge.

Doch Gauck ließ sich lange Zeit nicht drängen, fast trotzig hielt er an seinem Zeitplan fest. Ob er im März 2017, dann 77-jährig, als Bundespräsident abtritt, wird wohl erst in ein paar Tagen feststehen.

Im März in Peking hatte er es schon einmal auf den Punkt gebracht: Es sei ein schönes Gefühl zu spüren, dass viele Menschen sich eine Fortsetzung seiner Arbeit wünschten. „Dabei muss man aber auch seine eigenen physischen und psychischen Kräfte bedenken“, sagte er. Damals war das als Indiz für einen Verzicht gewertet worden, auf Hinweis auf sein Alter und entsprechende Beschwerden. Doch wenig später sagte er auf die Frage, ob er noch mit sich ringe: „Offensichtlich“.

Das vielleicht stärkste Argument gegen eine zweite Amtszeit: Nach fünf Jahren würde der Mann aus Rostock als erfolgreicher, als guter Präsident in Erinnerung bleiben. Unbestritten hat der frühere DDR-Pastor nach der bitteren Erfahrung des „Doppelrücktritts“ der Staatsoberhäupter Horst Köhler 2010 und Christian Wulff 2012 das ramponierte Ansehen des höchsten deutschen Staatsamtes wieder aufpoliert. Aber was wäre die Botschaft einer zweiten Amtsperiode?

Das Rennen um die Nachfolge dürfte bald eröffnet sein. Für Merkel kommt dies ungelegen. Sie kann nicht damit rechnen, ohne weiteres einen eigenen Kandidaten als Nachfolger durchzusetzen, auch wenn dafür immer wieder Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) genannt wird. Auch über Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wird spekuliert, sie war schon 2010 im Rennen. Jetzt sei endlich mal eine Frau dran, heißt es.

Die Bundesversammlung, die das Staatsoberhaupt wählt, tritt am 12. Februar zusammen, kurz vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und nur ein gutes halbes Jahr vor der Bundestagswahl. Die Union hat unter den voraussichtlich 1.260 Mitgliedern der Bundesversammlung mit Abstand die meisten Sitze, für eine Mehrheit allein reicht es aber nicht.

Ein gemeinsamer Kandidat von CDU/CSU und Koalitionspartner SPD ist nicht in Sicht. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) werde von der Union auf keinen Fall unterstützt, meldete vor kurzem der „Spiegel“. Warum sollte die SPD dann einen Unionskandidaten wählen? Aus ihren Reihen wird auch Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, ins Gespräch gebracht.

Eine schwarz-grüne Allianz bei der Wahl des Staatsoberhaupts, etwa mit dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU)? Das wäre ein starkes Signal für die Bundestagswahl, doch die CSU dürfte dies kaum mittragen. Ein „Stück Machtwechsel“, wie Gustav Heinemann (SPD) seine Wahl ins höchste Staatsamt 1969 nannte, käme derzeit wohl niemandem gelegen - abgesehen von der Linken vielleicht, die schon für einen rot-rot-grünen Präsidenten wirbt.

Als mögliche Kandidatinnen genannt werden auch Monika Grütters, CDU-Kulturstaatsministerin, mit gutem Draht zur Kanzlerin, oder Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, eher auf SPD-Ticket. Bisher ist dies aber nichts als Spekulation.

Noch unwahrscheinlicher jedenfalls würde mit Gaucks Verzicht auch für Merkel die Option, im September 2017 nach zwölf Jahren an der Regierungsspitze selbst abzutreten. Ein Abgang sowohl des Bundespräsidenten als auch der Kanzlerin innerhalb weniger Monate gilt als schwer vorstellbar.

Gauck ginge auf dem Zenit seines Ansehens. Er hat höchste Beliebtheitsquoten erreicht, vielleicht auch deshalb, weil er zur Enttäuschung seiner frühen Unterstützer aus dem roten und grünen Umfeld mancher Kontroverse aus dem Weg gegangen ist. Beliebt ist auch seine Lebensgefährtin Daniela Schadt, die einen frischen Stil ins Schloss Bellevue brachte.

Als ehemaliger DDR-Bürgerrechtler und Aufklärer der Stasi-Verbrechen setzte Gauck von Anfang an einen etwas anderen Akzent im Amt: Freiheit geht einher mit Verantwortung, Bürgerrecht mit bürgerlichem Engagement. „Dies ist ein gutes Deutschland, das beste, das wir kennen.“ Dieser eine Satz aus seiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz im Jänner 2014 steht für seine Botschaft in den ganzen fünf Jahren. Deutschland darf sich nicht wegducken, auch nicht mit Hinweis auf die grauenvolle Nazi-Vergangenheit.

Im Gegenteil: Deutschland muss sich etwa zutrauen, auch mehr „Demokratie wagen“, wie er am Tag des Grundgesetzes am 23. Mai sagte und damit den SPD-Kanzler Willy Brandt zitierte. Leicht sei das nicht, fügte er hinzu, aber Spannungen und Meinungsunterschiede müsse eine Demokratie eben auch ertragen können.

Dass die rechtspopulistische AfD im Sog der Flüchtlingskrise auf zweistellige Umfragewerte kletterte, machte Gauck zuletzt immer mehr Sorgen. Und dass im Nachbarland Österreich Norbert Hofer (FPÖ) fast zum Staatsoberhaupt gewählt worden wäre, musste diese Sorge noch verstärken. Nicht zufällig wirbt die AfD für eine Direktwahl des Bundespräsidenten auch in Deutschland.

„Das Staatsschiff ist nicht im Orkan, aber es gibt Wellen“, räumte Gauck vor kurzem beim Katholikentag in Leipzig ein. Damit muss die Republik nun vermutlich ohne ihn fertig werden. Und das Kandidaten-Gezerre könnte zu einer neuen Belastungsprobe für das politische System werden.