Fußball: Interview-Fouls vor EURO - Ein riskantes Spiel der AfD
Berlin (APA/dpa) - Ob es eine gute Idee ist, kurz vor der von Millionen Fans mit viel Vorfreude erwarteten Fußball-Europameisterschaft gegen...
Berlin (APA/dpa) - Ob es eine gute Idee ist, kurz vor der von Millionen Fans mit viel Vorfreude erwarteten Fußball-Europameisterschaft gegen deutsche Nationalspieler auszuteilen? Die AfD-Spitze macht jedenfalls weiter mit Provokationen gegen Promi-Kicker, die sie als „fremd“ empfindet.
Vor einer Woche war es Jerome Boateng, jetzt ist also Mesut Özil dran. Wieder arbeitet sich die AfD an einem der deutschen Hoffnungsträger für die am Freitag beginnende Fußball-EM ab. Diesmal grätscht nicht der 75-jährige Partei-Vize und Nachbarschaftsexperte Alexander Gauland auf dem rechten Flügel, sondern Parteichefin Frauke Petry (die sich bei Boateng kürzlich für das Interview-Foul ihres Stellvertreters noch öffentlich entschuldigt hatte).
Petrys Thema ist nicht die Herkunft des in Gelsenkirchen geborenen, türkischstämmigen Özil (27), sondern sein Nationalgefühl - und seine Religion. Es sei „schade, dass Mesut Özil als Identifikationsfigur für so viele Kinder und Jugendliche die Nationalhymne nicht mitsingt“, moniert Petry. „Auf der einen Seite das, auf der anderen die öffentlich zelebrierte Reise nach Mekka: Man könnte Özil fragen, ob er mit diesem Bekenntnis auch eine politische Aussage treffen wollte“, fügt die AfD-Vorsitzende in der „Welt am Sonntag“ hinzu.
Der gläubige Muslim Özil hatte sich Ende Mai in Pilgerkleidung vor dem islamischen Heiligtum in Mekka ablichten lassen und damit im Internet viel Aufmerksamkeit erzielt. Dass Petry nun daran Anstoß nimmt, passt zu den von der Alternative für Deutschland (AfD) jüngst festgezurrten Leitlinien: In dem vor fünf Wochen beim Stuttgarter Bundesparteitag beschlossenen Grundsatzprogramm der Rechtspopulisten stehen Sätze wie „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ und „Deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus“.
Zwar wurden sowohl Gauland als auch nun Petry mit gezielten Fragen von Journalisten zu Attacken auf Boateng und Özil angestachelt. Doch es dürfte im Kalkül der AfD-Spitze liegen, ihre Wählerschaft immer wieder mit Spitzen gegen die „political correctness“ zu bedienen. Laut „Spiegel Online“ schrieb Petry kürzlich in einer E-Mail an die Parteimitglieder, „provokante Aussagen“ seien unerlässlich, „um sich medial Gehör zu verschaffen“ - korrigieren könne man das später dann immer noch.
Auch Gauland griff vorige Woche die Aufregung (oder, wie er selbst sagte, den „Shitstorm“) um sein Nachbarschafts-Zitat zu Boateng gern nochmal auf. Er hatte laut „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ geäußert: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Bei einer AfD-Demo im brandenburgischen Elsterwerda erklärte der Ex-CDU-Mann am Donnerstag, er habe „etwas Richtiges gesagt, aber ein falsches Beispiel gewählt“, nämlich einen in Berlin geborenen Nationalspieler. Doch dann legte Gauland nach: „Wir sind nicht gegen Fremde. Aber es ist unser Land! Und es ist unser Volk! Und es ist nicht das Land von Fremden.“
Dem „Spiegel“ sagte Gauland zudem, die deutsche Nationalelf setze bei ihm keine nationalen Gefühle frei. Denn: „Eine deutsche oder eine englische Fußballnationalmannschaft sind schon lange nicht mehr deutsch oder englisch im klassischen Sinne.“ Allerdings räumt Gauland beim Thema Fußball ein, dass er „nichts davon verstehe“.
Die von Petry angestoßene Hymnen-Debatte ist übrigens nicht ganz neu. Schon nach dem EM-Aus im Halbfinale vor vier Jahren ging es um eine „Singpflicht“ für Nationalspieler - und Kritik von Politikern, dass insbesondere Kicker mit Migrationshintergrund bei der Hymne meist mit zusammengepressten Lippen zu sehen seien.
Der preisgekrönte Autor Patrick Gensing („Rechte Hetze im Netz“) schreibt zur AfD-Taktik: „Die Möglichkeiten der Netzwerke spielen den Strategien von Populisten in die Hände. Einfach und emotional - das sind die besten Voraussetzungen dafür, dass ein Thema in sozialen Medien gut läuft - und dies entspricht exakt dem Politikkonzept von Populisten, die auf simple Antworten und vor allem diffuse Emotionen setzen.“ Der AfD komme „die Rolle von vermeintlichen Tabubrechern zu, deren Behauptungen entkräftet werden müssten“, so Gensing. „Die knackigen Parolen sind medial optimal zu transportieren und bieten deutlich mehr Empörungspotenzial als ausgewogene Debattenbeiträge.“
Wie seriös - und zugleich ein wenig langweilig - klingt dagegen Angela Merkel, aus Gaulands Sicht eine „Kanzler-Diktatorin“. In ihrem Videopodcast zur Fußball-EM sagt sie: Das deutsche Team werde „in der Vorbereitung wieder sehr zusammenwachsen und das zeigen, was Deutschland ausmacht: Vielfalt, gemeinsamer Wille, zu gewinnen, Toleranz, Respekt voreinander - und dann eben auch der Wunsch, dass die Fans sich erfreuen können - an gutem Mannschaftsfußballspiel“.
Ob diese positive Sicht der Dinge oder die Methode Gauland/Petry auf Dauer verfängt? Im Emnid-“Sonntagstrend“ für die „Bild am Sonntag“ fällt die AfD nach der umstrittenen Gauland-Äußerung zu Boateng jedenfalls um zwei Punkte auf 12 Prozent zurück.