Gesellschaft

Grüne Grenze könnte für Flüchtlinge am Brenner interessanter werden

© Perktold

Die Kontrollen am Brenner sorgen seit Wochen für Ruhe. Jetzt steigt aber die Befürchtung, dass die grüne Grenze für die Flüchtlinge zur Ausweichroute wird.

Von Renate Perktold

Brenner - Ein junger Mann sitzt spätabends auf einer Bank am Bahnsteig Brenner. Die Füße stecken in weißen Sneakers, passend dazu trägt er eine helle Hose und eine weiße Jeansjacke. Er ist mit seinem Handy beschäftigt, ein Kopfhörer steckt im Ohr, der zweite baumelt lose herab. Daneben steht ein schwarzer Rucksack. Sonst nichts.

Zurückgelassene Kleidung im Wald am Brenner.
© Perktold

Eine Gruppe italienischer Polizisten marschiert an dem dunkelhäutigen Burschen vorbei, fröhlich plaudernd. Erst einige Meter weiter dreht sich plötzlich einer aus der Gruppe – ein kleiner untersetzter Beamter – um, geht schnurstracks auf den jungen Mann zu und spricht ihn an. Die anderen Polizisten bilden sofort einen Kreis um den Ausländer, der maximal 25 Jahre alt ist. „Wo willst du hin?“, fragt der dickliche Polizist zuerst auf Italienisch, dann auf Englisch. Der Dunkelhäutige schaut ihn verwundert an. „Deutschland“, antwortet er dann knapp. „Hast du einen Pass? Papiere? Kannst du dich ausweisen?“, prasseln die Fragen auf ihn ein. Er schüttelt den Kopf. „Kein Pass.“

„Dann musst du zurück nach Bozen“, erklären ihm die Beamten und zeigen auf den Bahnsteig, wo der Zug in italienische Richtung einfahren wird. „Ohne Papiere darfst du nicht über die Grenze.“ Damit ist der Fall für sie erledigt. Sie drehen sich um und gehen. Der Bursche nimmt sofort sein Handy in die Hand und spricht dann aufgeregt mit jemandem, der offensichtlich irgendwo auf ihn wartet. „Wo bin ich hier?“, fragt er dann die umstehenden Passanten, so als wüsste er gar nicht, dass er nur wenige Meter entfernt von der Grenze zu Österreich steht. „Am Brenner. Brennero“, sagt er dann ins Handy. „Was soll ich jetzt tun?“ Kurz vor 22 Uhr wird er in den vorletzten Zug steigen. Zurück nach Bozen. Ähnlich wie ein zweiter dunkelhäutiger Mann, den die Beamten wenig später aus dem einfahrenden Zug nach Innsbruck fischen. Auch er hat keine Dokumente bei sich und muss postwendend zurück.

Täglich bis zu 20 Aufgriffe

„Im Schnitt gibt es am Brenner 15 bis 20 Aufgriffe von Flüchtlingen täglich. Seit wir Ende Mai die Einsatzkräfte zur Verdichtung der Schengenkontrollen auf 80 Beamte verstärkt haben und auch die italienische Polizei in den vergangenen Wochen verstärkt kontrolliert, halten sich die Zahlen derzeit in Grenzen“, erzählt Polizeisprecher Manfred Dummer. In ganz Tirol wurden 2016 bereits 6500 Flüchtlinge aufgegriffen, davon haben es allerdings 3500 bis zur deutschen Grenze geschafft, von wo aus sie nach Tirol zurück geschoben wurden. Alleine im Mai versuchten 117 Personen, die Grenze am Brenner zu queren.

Kontrollen vor dem Brenner-Outlet.
© Perktold

Ein verärgerter Vorwurf von Landeshauptmann Günther Platter in Richtung Italien war es Mitte Mai, der den Streit um die Grenze am Brenner wieder hochkochen ließ. Platter hatte den Italienern vorgeworfen, nicht ausreichend zu kontrollieren, denn wie sonst sei es zu erklären, dass die Flüchtlinge nachts illegal über die Grenze marschieren könnten. Erneut kam es zur Aufstockung von Personal, neben der österreichischen Polizei stehen tagsüber auch Alpini, Guardia di Finanza und Polizia am Brenner, um die Menschenströme zu überprüfen. „Die Situation ist dynamisch und kann sich jederzeit ändern. Bis auf weiteres wird deshalb mit den erhöhten Polizeikräften kontrolliert“, betont Dummer. Bei einem Treffen mit den betroffenen Bürgermeistern und Landespolizeikommandant Helmut Tomac betont auch Platter, dass das Grenzmanagement jederzeit hochgefahren werden könne, sollte sich die Lage ändern. „Derzeit ist die Lage nicht besorgniserregend“, ergänzt er.

Ein Flüchtling hat seinen Rucksack am Sattelberg zurückgelassen.
© Perktold

Tatsächlich hat sich die Lage in den vergangenen Wochen wieder gebessert, bestätigt auch Karl Mühlsteiger, Bürgermeister der direkt an der Grenze gelegenen und am stärksten betroffenen Gemeinde Gries am Brenner. „Man sieht, dass das Polizeiaufgebot Früchte getragen hat. Wir hoffen natürlich, dass es jetzt so bleibt, aber man muss das schon auch kritisch sehen. Die Leute, die vom Mittelmeer kommen, müssen und wollen ja irgendwo hin. Der Brenner könnte jederzeit wieder zum Hotspot werden“, warnt der Bürgermeister.

Grüne Grenze wird interessanter

Die unkontrollierte Einreise mancher Flüchtlinge im Ort bis vor einigen Wochen habe die Bürger in der Gemeinde stark verunsichert. Alleine schon deshalb, weil viele nachts unterwegs waren, was auch im Straßenverkehr nicht ganz ungefährlich ist. „Ich habe es selbst erlebt, dass ich gegen 23 Uhr auf dem Heimweg war, und mir eine Gruppe dunkel gekleideter Männer auf der Straße entgegenkam. Da kann es schnell passieren, dass man die übersieht“, gibt der Bürgermeister zu bedenken. Auch die Ausweichroute über die grüne Grenze macht Mühlsteiger Sorgen.

Vereinzelte Flüchtlinge marschieren jetzt, wo der Brenner stärker kontrolliert wird, über den Sattelberg bzw. Kerschbaumberg oder nehmen noch weitere alpine Umwege auf sich, um nach Österreich zu gelangen. Sogar in den Wäldern in Obernberg wurden bereits Flüchtlinge gesehen. „Als wir unterwegs waren, raschelte es plötzlich im Gebüsch und dann liefen zwei Männer verschreckt über den Berg runter ins Tal“, schildert ein Wipptaler Jäger. Hin und wieder finden die Einheimischen auch ausrangierte Kleidungsstücke auf den Wald- und Forstwegen.

Auch das ist etwas, was Mühlsteiger kritisch beäugt: „Man kann nicht davon ausgehen, dass diese Menschen über alpine Erfahrung verfügen, gut ausgerüstet oder sich der Gefahren bewusst sind, die im alpinen Gelände lauern.“ Die Tiroler Polizei weiß von der Problematik - Dummer spricht allerdings von einem derzeit vereinzelten Phänomen.

Ein Flüchtling hat seinen Rucksack am Bahnhof entsorgt.
© Perktold

Etwas weiter nördlich in Steinach am Brenner ist die Situation offenbar wieder eine völlig andere. „Von Flüchtlingen, die durch unser Dorf marschieren, haben wir sowohl in der Vergangenheit als auch jetzt nicht sehr viel mitbekommen“, schildert Bürgermeister Josef Hautz. Daher gebe es auch im Ort keine Beinträchtigungen. Zwischenzeitlich sei im Gespräch gewesen, die Züge aus Bozen in Steinach anzuhalten und von dort die Flüchtlinge herauszuholen. „Aber das ist jetzt auch wieder vom Tisch. Das wird jetzt direkt am Brenner gemacht.“

Großes Sicherheitsaufgebot am Bahnhof

Dort wartet tatsächlich ein großes Aufgebot an italienischen Sicherheitskräften am Bahnhof auf die Züge nach Innsbruck. Als der vorletzte Zug an diesem Tag in den Bahnhof einfährt, stehen mehr Männer in Uniform am Bahnsteig als Passagiere. In wenigen Minuten fährt der Zug nach Innsbruck ab. Ein Schwarzafrikaner hetzt über die Stiegen auf den Bahnsteig, um die letzte Bahn noch zu erwischen. Vor der hintersten Zugtür steht erneut der italienische Beamte mit seinen Kollegen. „Oh nein, Polizeikontrolle“, seufzt der Afrikaner mit theatralischer Stimme auf Deutsch. Er marschiert direkt auf die Beamten zu, fischt kurz in seiner Hosentasche und hält ihnen dann seine Papiere unter die Nase. Die Italiener nicken ihm aufmunternd zu und lassen ihn fröhlich lachend einsteigen. Für ihn ist der Brenner keine Grenze – sondern lediglich ein Ort, der Italien mit Österreich verbindet.

Die Alpini verstärken die Grenzkontrollen am Brenner.
© Perktold