Homosexuelle trotzen Verbot von Gay Pride in Istanbul

Istanbul (APA) - „Wir lassen uns nicht unterkriegen“, sagt Izil Duman. Die 38-Jährige steht in einem Lokal für Homosexuelle wenige Minuten v...

Istanbul (APA) - „Wir lassen uns nicht unterkriegen“, sagt Izil Duman. Die 38-Jährige steht in einem Lokal für Homosexuelle wenige Minuten vom Istanbuler Taksim-Platz entfernt. Ihre Freundin bringt ihr ein Bier von der Theke, sie geben sich einen kurzen Kuss, dann sagt Duman mit kraftvoller Stimme: „Wir haben uns entschieden zu kämpfen. Wir werden uns am Sonntag nicht wie sonst immer in unseren Leben verstecken.“

Die lesbische Aktivistin Duman und ihre Freunde wollen trotz diverser Gefahren an der jährlichen Gay Pride in Istanbul teilnehmen. Denn am Freitag kündigten die türkischen Behörden an, dass die für nächsten Sonntag angekündigte Homosexuellen-Parade rund um den Taksim-Platz verboten worden sei. Der Gouverneur der Millionenmetropole am Bosporus, Vasip Sahin, begründete die Entscheidung damit, dass die öffentliche Sicherheit bei der Veranstaltung nicht gewährleistet sei.

Das Verbot bedeutet für Teilnehmer, dass sie festgenommen werden könnten. „Das ist die Entscheidung eines Regimes, dessen Unterstützung für jihadistische Gruppen bekannt ist. Wir werden trotzdem in Taksim sein“, zitierten türkische Medien einen der Veranstalter. „Wir haben keine Angst“, sagt Duman. „Seit ich meine Liebe zu Frauen entdeckt habe, muss ich meine Liebe verteidigen: Vor meiner Familie, meinen Freunden, vor fast der ganzen türkischen Gesellschaft.“

Erst wenige Tage vor dem Verbot der Gay Pride hatte die türkisch-islamistische Jugendbewegung „Alperen Hearths“ angekündigt, die Veranstaltung gewaltsam aufzulösen, sollte diese stattfinden. „Wir wollen nicht, dass halb nackte Menschen mit Alkoholflaschen in den Händen durch unsere heilige Stadt laufen“, sagte ihr Vorsitzender Kursat Mican der Zeitung „Hürriyet“. Wie die Tageszeitung „Cumhuriyet“ berichtete, hatte die Gruppe auf Facebook damit gedroht, die Aktivisten der Schwulen- und Lesbenszene zu attackieren.

Die Gay Pride, die für den 26. Juni geplant ist, fällt wie schon im letzten Jahr in den muslimischen Fastenmonat Ramadan. Auch 2015 wurde die Demonstration von der Stadtverwaltung nicht genehmigt, damals wurde die „Verletzung religiöser Werte“ als Verbotsgrund genannt. Dennoch marschierten mehrere tausend Schwule, Lesben und Unterstützer über die Einkaufsmeile Istiklal Caddesi, um für mehr Toleranz zu werben. Die Polizei löste die Kundgebung mit Wasserwerfern und Tränengas auf.

An dem Tag war auch Burak Akyol dabei. Der 26-Jährige liebt Männer, er kommt jeden Samstag in die kleine dunkle Bar auf der europäischen Seite der Stadt, wo er seine Neigung offen zeigen kann. Für ihn und all die anderen Besucher sind diese Abende kurze Momente in einer Gemeinschaft, in der sie sich nicht rechtfertigen müssen und es selbstverständlich ist, gleichgeschlechtlich zu begehren. Hier können sie sich erlauben zu leben, wie sie wollen.

„Jeder in meinem beruflichen und privaten Umfeld weiß, dass ich schwul bin“, sagt er. Als Grafikdesigner arbeite er in einem kreativ-liberalen Umfeld, seine Eltern seien überzeugte Atheisten und nicht traditionell. „Aber ich habe großes Glück. Und weil wir immer noch diskriminiert werden, werde ich am Sonntag natürlich für die Gleichberechtigung protestieren.“

Offen lebende Homosexuelle sind in der Türkei rar. Kein Wunder, sie gelten vielen nicht als normal, werden stigmatisiert und diskriminiert. Homosexualität ist in der Türkei nicht verboten, allerdings klagen Schwule und Lesben in dem muslimisch dominierten Land häufig über Übergriffe.

„Ich zeige mich in der Öffentlichkeit nie Hand in Hand mit meiner Freundin“, sagt Sibel, die aus Sicherheitsgründen ihren Nachnamen nicht nennen will. „Wenn jemand aus unseren Familien mitbekommen würden, dass wir uns lieben, dann würden sie uns hinauswerfen“, so die Studentin, die sich wirklich frei nur unter ihresgleichen fühlt. Jeder Homosexuelle in der Türkei kenne jemanden, der jemanden kenne, der wegen seiner Neigung den Freitod gewählt habe - zu hoch sei der gesellschaftlich-religiöse Druck, einem traditionell heterosexuellen Lebensstil folgen zu müssen. „Wer sich dennoch zu seiner Homosexualität bekennt, muss sogar damit rechnen, von einem Familienmitglied ermordet zu werden“, sagt Sibel.

Trotzdem will auch Sibel am Sonntag zu der Gay-Parade: „Ich weiß, dass ich gesellschaftlich geächtet werde. Aber ich kann mein Leben nicht von der Angst bestimmen lassen“, so die junge Frau. „Ich will kämpfen, damit ich vielleicht doch noch erlebe, dass wir nicht nur als psychisch Kranke in diesem Land wahrgenommen werden.“