Brexit-Szenarien: Was ein EU-Austritt der Briten bedeuten würde

London/Berlin (APA/dpa) - Die Brexit-Entscheidung rückt näher. Stimmen die Briten am 23. Juni für den EU-Austritt ihres Landes? Oder heißt e...

London/Berlin (APA/dpa) - Die Brexit-Entscheidung rückt näher. Stimmen die Briten am 23. Juni für den EU-Austritt ihres Landes? Oder heißt es am Tag danach „business as usual“? Volkswirte skizzieren verschiedene Szenarien.

„BREMAIN“: Die Briten sagen „Ja“ zur Europäischen Union, alles bleibt beim Alten. „Die EU hat dann eine Baustelle weniger“, folgern die Ökonomen der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) für diesen Fall. Konjunktur und Aktienmärkte würden sich erholen, weil die Sorge vor einem Brexit gebannt wäre.

EINVERNEHMLICHE TRENNUNG: Premierminister David Cameron hält sich trotz des „No“ seiner Landsleute im Amt und beginnt rasch Verhandlungen mit Brüssel, um sicherzustellen, dass der Handel zwischen der EU und Großbritannien auch nach 2018 weiter floriert. Weil sowohl die europäischen Partner als auch London an einer einvernehmlichen Lösung interessiert sind, gestalten sich die Verhandlungen konstruktiv. In einem Zeitrahmen von zwei Jahren könnte so ein „Scheidungsvertrag“ ausgehandelt werden, der beide Seiten das Gesicht wahren lässt: Großbritannien behielte weitgehenden Zugang zum EU-Binnenmarkt, der Finanzplatz London bliebe dominant.

In diesem Szenario dürfte sich die Aufregung an den Finanzmärkten bald wieder legen, Volkswirte halten in solch einem Fall die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Brexit auf beiden Seiten des Ärmelkanals für begrenzt. „Für die Finanzmärkte wäre dies ohne Frage das bestmögliche Brexit-Szenario, und eine Panikreaktion könnte verhindert werden“, schreiben die Ökonomen der DZ Bank. „Dies würde indes nicht bedeuten, dass der Brexit nicht mit deutlichen Marktverwerfungen einhergehen würde. Vielmehr ist besonders in den ersten Tagen und Wochen mit massiv erhöhter Volatilität zu rechnen.“

DOMINOEFFEKT: „Kommt es zu einem Austritt Großbritanniens aus der EU, könnte dies einen Dominoeffekt auslösen“, warnen die Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe. Ein Sieg der EU-Gegner auf der britischen Insel könnte demnach eine Lawine lostreten: Cameron wird zum Rücktritt gedrängt, die Schotten nutzen die Gunst der Stunde und setzen ihre Forderung nach einem neuen Unabhängigkeitsreferendum durch. Das gibt EU-Kritikern in anderen europäischen Ländern Auftrieb. ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski sieht den Kontinent in einen solchen Fall vor längeren Turbulenzen - sowohl an den Finanzmärkten als auch politisch. Die Regierungen hätten dann noch mehr damit zu schaffen, Europakritiker in Schach zu halten. Die DZ Bank folgert: „Unter diesen Umständen muss davon ausgegangen werden, dass die Folgen eines Brexits nicht nur wesentlich dramatischer wären, sondern auch wesentlich länger anhalten würden“ - sowohl für Großbritannien als auch für die Eurozone.

ROSINENPICKEN: Zumindest als nicht völlig ausgeschlossen gilt, dass die Briten im „Scheidungsvertrag“ zu Lasten der EU deutliche Vorteile heraushandeln, etwa beim Thema Migration. Weil die Regulierung auf der Insel lockerer ist als in der EU, gewinnt zudem der Standort Großbritannien - allen voran die City in London - an Attraktivität und zieht frisches Kapital an. Das aus gesamteuropäischer Sicht düstere Fazit der Helaba zu diesem Szenario: „Insgesamt profitiert das Land vom Austritt, während die EU die Kosten trägt.“