Bartlebys Bruder: Wolfgang Hermanns „Herr Faustini bleibt zu Hause“

Wien (APA) - Herr Faustini ist wieder da. Zehn Jahre, nachdem der in Wien lebende Vorarlberger Wolfgang Hermann seinen sympathischen Eigenbr...

Wien (APA) - Herr Faustini ist wieder da. Zehn Jahre, nachdem der in Wien lebende Vorarlberger Wolfgang Hermann seinen sympathischen Eigenbrötler in „Herr Faustini verreist“ in die Literaturwelt einführte und fünf Jahre, nachdem dieser in „Die Augenblicke des Herrn Faustini“ das letzte Mal aufgetaucht war, gibt es wieder Neues von ihm - keine großen Neuigkeiten allerdings, denn „Herr Faustini bleibt zu Hause“.

Es ist Winterzeit, und über dem Vorarlberger Rheintal liegt meist eine dicke Nebeldecke, unter der die klirrende Kälte den Menschen zusetzt. Bei dem zurückgezogen lebenden Herrn Faustini, der sein Heim nur mit einem Kater teilt, macht das Telefon etwas, was es höchst selten macht: Es klingelt. Am Telefon ist Uschi, Kameradin aus längst vergangenen Schultagen. Sie redet nicht lange herum. Pendel und Karten hätten ihr, der nunmehr alleinerziehenden Mutter zweier Kinder, enthüllt, was sie längst geahnt habe: Ihrer beider Leben seien für einander bestimmt.

Herr Faustini lässt sich zwar in Uschis Haus, nicht aber aus der Reserve locken. Das wird auch so bleiben. „I prefer not to“, der Wahlspruch von Bartleby, dem Schreiber, könnte auch sein Motto sein. Nicht nur die verzweifelte Uschi, auch der auf ein dramatisches Kreuzen zweier höchst unterschiedlicher Lebenskonzepte mit Potenzial zu vorübergehendem Glück, wenn nicht gar zum Happy End, hoffende Leser, wird rüde enttäuscht. Herr Faustini bleibt zurückhaltend und lässt sich auf nichts ein - nicht einmal auf die ihm immer wieder telefonisch angetragene Abonnentenschaft der nahezu lückenlos das Land abdeckenden Lokalzeitung. Dem „Blick in den Schlund des modernen Lebens“ weicht er nur allzu gerne aus.

Dabei ist Herr Faustini gar kein Menschenfeind, und er will niemandem etwas Böses. Er will bloß niemanden wirklich an sich ranlassen. Das gilt allerdings auch für seinen Autor. Wolfgang Hermann lässt noble Zurückhaltung walten, er rückt seinem Protagonisten nicht auf die Pelle. Tiefenpsychologische Auslotungen seiner sozialen Disposition sind nicht des Erzählers Ding. Stattdessen setzt er auf sensible Beschreibungen und belässt Herrn Faustini sein Geheimnis. Doch er baut manche Überraschung ein.

Denn Faustini mag zwar Bartlebys Bruder sein, Diogenes‘ Enkel ist er nicht. Herr Faustini bleibt gar nicht zu Hause. Sein drohendes eremitisches Dasein bekämpft er aktiv - mit langen Spaziergängen, mit Expeditionen in den Baumarkt, wo er einen extralangen Waschmaschinenschlauch ersteht und ihn anschließend sogar höchstselbst anzuschließen vermag, und auf den Bauernmarkt, wo er Geschlechtsgenossen bei ihrem Treiben zwischen Flirten und Angeben irritiert zusieht.

Dabeisein ist nicht alles. Nichtstun jedoch auch nicht. Herr Faustini meldet sich auf eine Stellenausschreibung als Nachtwächter bei der Dornbirner Messe. Nach zehn (großteils) durchwachten Nächten lässt er sich von einem jungen Kollegen zu einer Motorradspritzfahrt überreden. Und siehe da, er findet Gefallen an der Geschwindigkeit. Das Leben ist plötzlich schön, die Winterruhe ist vorbei. Beinahe möchte man ihm zuflüstern: Uschi würde sich sicher über einen Anruf freuen...

(S E R V I C E - Wolfgang Hermann: „Herr Faustini bleibt zu Hause“, LangenMüller, 140 S.,15,50 Euro)