Multitasking-Gesellschaft ist am Ende
Die erschöpfte Gesellschaft: Wie wir unser Hirn kaputt bombardieren und warum Stress das Leben kosten kann. Das Medicinicum Lech widmet sich dem „Killer Nummer 1“, Organisator Markus M. Metka rät zur Gelassenheit.
Wir sind immer erreichbar, immer online, immer informiert. Wir können mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen oder machen uns das zumindest vor. Was uns vor Jahren noch ziemlich verrückt schien, ist für viele Menschen Standard geworden — mit weitreichenden Folgen für Gesundheit und Psyche. Sind wir am Ende, was unsere Aufnahme- und Leistungsfähigkeit betrifft? Müssen wir zurückrudern?
Markus M. Metka: Von der Evolution her ist unser Gehirn nicht darauf eingestellt, mit so vielen Impulsen und Eindrücken gleichzeitig fertig zu werden. Also Ja! Unser Gehirn wird durch zu viele Informationen kaputt bombardiert.
Was bewirkt Stress — medizinisch betrachtet?
Metka: Stress ist der „Killer Nummer 1", der zu Herzinfarkt, Alzheimer, Krebs führen kann. Viele schwere Krankheiten sind die Folge von monatelangem, jahrelangem Dauerstress. Er erzeugt chronische Entzündungen, die Ursachen für alle Erkrankungen.
Mehr Leistung in einer immer kürzeren Zeit: Der Druck nimmt zu. Oft wird davon ausgegangen, dass Mitarbeiter immer erreichbar sind, sogar während des Urlaubs. Wo führt das hin?
Metka: Arbeitgeber haben nichts davon, wenn sich Mitarbeiter über Jahre wie Wahnsinnige für das Unternehmen einsetzen und dann wegen eines Burn-outs monatelang ausfallen. Das haben viele Firmen bereits erkannt und bieten ihren Mitarbeitern Coaching-Seminare an, bei denen es darum geht, die richtige Work-Life-Balance zu finden. Aber bei Mobbing hilft das natürlich nicht.
Stress macht krank, soll aber auch lebensnotwendig sein und sogar glücklich machen. Was stimmt nun?
Metka: Stress kann Fluch oder Segen sein. Bis zu einem gewissen Grad ist er gut — und er kann uns sogar glücklich machen, wie es in einem Buch heißt. Aber in Büchern wird halt auch übertrieben. Der Philosoph Aristoteles meinte, wir müssen die goldene Mitte finden, in diesem Fall also zwischen Arbeit und Leben, zwischen Reizüberflutung und Stille.
Wann kann Stress positiv und sogar notwendig sein?
Metka: Er bewirkt, dass wir auf 10.000 Volt kommen. In diesem Zustand können wir schneller denken, mehr leisten. Das hat die Natur so eingerichtet, damit wir in Urzeiten dem Säbelzahntiger entkommen konnten. Wichtig ist eine entsprechend lange Regenerationsphase. Dem ist aber nicht so, wenn wir mit dem Laptop ins Bett gehen und in der Früh gleich nachsehen, welche E-Mails eingegangen sind. So gerät man in eine Art Dauerstress.
Sie selbst sind Arzt, gelten als einer der führenden Pioniere auf dem Gebiet der Anti-Aging-Medizin und Hormonforschung, außerdem haben Sie mehr als 300 wissenschaftliche Publikationen verfasst. Wie gehen Sie selbst mit Stress um?
Metka: Ich bin ein Kind dieser gestressten Gesellschaft. In der asiatischen Lebensweise sehe ich die Möglichkeit, einen Ausgleich zu finden. Mein Traum wäre — so wie fürs Zähneputzen — jeden Morgen 20 Minuten Zeit für Yoga zu finden oder zum Meditieren. Ich schaffe es aber nicht. Ich muss noch viel lernen und bin selbst neugierig auf die Ratschläge unserer Referenten. In Lech sind nicht nur Ärzte dabei — und es gibt nicht nur Vorträge. Wir sind interdisziplinär, philosophieren, kochen und wandern. Schon Aristoteles hat im Gehen diskutiert. Und die Lehrerin von Julia Roberts gibt den Teilnehmern Yoga-Stunden. Das Problem bei den meisten Kongressen ist ja, dass — entschuldige — nur Fachidioten zusammenkommen. Bei uns ist das anders.
Warum war es für Sie als Organisator wichtig, dass sich das Medicinicum Lech in diesem Jahr dem Thema Stress widmet?
Metka: Weil es hochaktuell ist. Bei der Mehrfachbelastung durch die Flut von Informationseinflüssen spricht man bereits von Internetdemenz, Internetverblödung. Wir müssen der erschöpften Gesellschaft entgegenwirken. Damit wir mit dem Überangebot fertig werden und das Gleichgewicht wiederherstellen können, braucht es Gelassenheit. Oder auch Muße — ein Wort, das völlig aus dem Mode gekommen ist. Meine Sekretärin weiß gar nicht, wie man das schreibt.
Wie können wir verhindern, krank zu werden?
Metka: Ganz bestimmt durch die richtige Ernährung. Aber es geht nicht nur darum, was ich esse. Das Wie hat einen riesigen Einfluss auf den Stresslevel. Es ist ein Unterschied, ob ich mit Freunden bei Slow Food zusammensitze oder gehend esse, mit dem Handy in der einen Hand und Fast Food in der anderen.
Warum ist es wichtig, das Thema auch philosophisch zu betrachten?
Metka: Bei diesem Thema ist das unbedingt notwendig. In einem Vortrag geht es um die „Heilsbringer" Jesus, Laotse, Buddha — die „Psychotherapeuten gegen den „Weltstress". Buddha war ein Anti-Stress-Philosoph. Er hat als Erster das Ziel der „Achtsamkeit" formuliert — ein ideales Mittel gegen Stress. Wer achtsam ist, lebt und erlebt den Moment bewusst. Natürlich schließt das Multitasking aus. Das Gegenteil ist der völlig zerrissene Mensch, Teil einer erschöpften Gesellschaft. Ich muss mich an der Rosine erfreuen, in der Pfütze den ganzen Ozean sehen. Der bekannte Zukunftsforscher Matthias Horx sagt, dass Achtsamkeit der wichtigste Begriff für die nächsten 20 Jahre sein wird.
Das Interview führte Michaela S. Paulmichl