Tobias Natter eröffnet „neue Perspektiven“ auf Wien um 1900

Wien/New York/Frankfurt am Main (APA) - Mit gleich zwei Ausstellungen, die neue Aspekte der österreichischen Kunst um 1900 beleuchten, tritt...

Wien/New York/Frankfurt am Main (APA) - Mit gleich zwei Ausstellungen, die neue Aspekte der österreichischen Kunst um 1900 beleuchten, tritt der vormalige Leopold Museum-Direktor Tobias G. Natter demnächst in Erscheinung. Bereits ab 6. Juli zeigt die Frankfurter Schirn Kunsthalle den Wiener Farbholzschnitt um 1900, im Herbst folgt in der Neuen Galerie in New York eine Klimt-Schau um das „Bildnis Adele Bloch-Bauer“.

„Es gibt kaum eine Epoche, die so intensiv erforscht wurde wie Wien um 1900, und trotzdem gibt es immer wieder neue Perspektiven“, freut sich Natter, dessen Barock-Ausstellung „Fürstenglanz. Die Macht der Pracht“ im Wiener Stadtpalais des Prinzen Eugen diese Woche zu Ende geht, im APA-Gespräch. „Eine erste Blütezeit erlebte der Holzschnitt zur Zeit Albrecht Dürers, dann wurde er durch neu aufkommende Drucktechniken verdrängt“, so Natter im Vorfeld der Schau „Kunst für Alle“, die bis 3. Oktober in Frankfurt und ab 19. Oktober in der Wiener Albertina zu sehen ist.

„Im 19. Jahrhundert war er unverzichtbar, um den unermesslichen Appetit der Zeitungen nach Illustrationen zu stillen. Aber erst als der Holzschnitt von der Fotografie von dieser reinen Bebilderungsfunktion befreit wurde, war der Weg frei für seine künstlerische Wiederentdeckung.“ Dass der Farbholzschnitt in Wien zwischen 1900 und 1910 eine „explosionsartige Blüte“ erlebte, ist laut Natter in der Kunstgeschichte untergegangen - bisher habe es zu dem Thema keine Ausstellung gegeben, auch auf dem Kunstmarkt sei der Wiener Farbholzschnitt im Vergleich zum japanischen Farbholzschnitt oder den hoch bezahlten Druckgrafiken des deutschen Expressionismus unterbewertet. „Jetzt kann er wieder neu entdeckt werden“, sagt Natter.

Die Ausstellung versammelt Werke von bekannten und unbekannten Wiener Künstlern: Gezeigt werden rund 240 Arbeiten - auch aus verwandten Techniken wie Linolschnitt oder Schablonendruck - von fast 50 Künstlern, darunter Carl Moll, Carl Moser, Marie Uchatius oder Ludwig Heinrich Jungnickel. „Dutzende Unbekannte“ hätten sich der Technik gewidmet, darunter auch viele Frauen aus der Kunstgewerbeschule. Natter will darlegen, dass die Reduktion auf große Farbflächen „wesentliche Ingredienzen für die Moderne“ gewesen seien und die Wiener Farbholzschnitte „eine wichtige Vorstufe für den deutschen Expressionismus“ waren.

Begleitet wird die Schau von einem 416-seitigen Katalog, laut Natter hat er durch die Fülle des Materials das Potenzial, „ein Standardwerk“ zu werden. Der Ausstellungstitel „Kunst für Alle“ beziehe sich auf den Umstand, dass es schon damals eine breite Bewegung gab, hochwertige Kunst auf breiter Basis zugänglich zu machen. „Bekanntlich waren die Werke von Gustav Klimt oder der Wiener Werkstätte ja schon damals unerhört teuer“, so der Kurator. Dem Credo des Jugendstils folgend sollte Kunst aber alle Bereiche des Lebens erfassen und nicht nur einigen wenigen zugänglich sein.

„Die Blüte des Wiener Farbholzschnitts um 1900 war eine Antwort auf dieses Dilemma und diente der Popularisierung modernen Kunstschaffens.“ Damit habe der Farbholzschnitt innerhalb einer „Kunst für Alle“-Bewegung eine lebhafte Diskussion über Authentizität, Originalität und Verfügbarkeit von Kunst abseits der Eliten und hohen Preise entfacht. Die Exponate stammen zu großen Teilen aus der Albertina, dem Wiener Museum für Angewandte Kunst, den Sammlungen der Universität für Angewandte Kunst, diversen Künstlernachlässen sowie Privatbesitz.

Die zweite große Schau, mit der Natter auf den scheinbar gut bekannten Kosmos „Wien um 1900“ einen neuen Blick wirft, eröffnet am 22. September in New York mit „Gustav Klimt and the Women of Vienna‘s Golden Age 1900-1918“. Ein besonderes Highlight der Ausstellung wird die Zusammenführung der beiden Bildnisse von Adele Bloch-Bauer sein. Dank der aktiven Unterstützung des US-Mäzens und Medienmoguls Ronald S. Lauder, der das aus dem Belvedere restituierte Gemälde „Bildnis Adele Bloch-Bauer“ 2006 für kolportierte 135 Millionen US-Dollar für die Neue Galerie erwarb, ist es „nach viel Zeit in Anspruch nehmenden Verhandlungen“ gelungen, auch eine Leihzusage für das „Bildnis Adele Bloch-Bauer II“ zu erhalten, das fünf Jahre nach der „Goldenen Adele“ entstand. Seit der Restitution hat das mehrfach den Besitzer gewechselt. Im Jahr 2006 war es bei Christie‘s New York für 87,9 Mio. US-Dollar verkauft worden.

In der Ausstellung, die in enger Zusammenarbeit mit Renée Price, der Direktorin der Neuen Galerie entstand, wird Klimt im Kontext der Wiener Mode gezeigt. Thematisiert werden soll „die für Wien um 1900 wegweisende Durchdringung von Malerei und Kunstgewerbe“, so Natter. Zu sehen sind zahlreiche Hauptwerke von Klimts Porträtmalerei, 40 Zeichnungen, Dekorationen und Fotografien. Und im Herbst folgt auf diesen beiden Ausstellungen noch eine Publikation Natters: Im Herbst erscheint ein in jahrelanger Forschungsarbeit erstelltes neues Verzeichnis der Gemälde von Egon Schiele im Taschen Verlag Köln.

(S E R V I C E - „Kunst für Alle. Der Wiener Farbholzschnitt um 1900“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt. 6. Juli bis 3. Oktober, ab 19. Oktober in der Albertina. Infos unter http://www.schirn.de/ausstellungen/2016/kunst_fuer_alle/. „Gustav Klimt and the Women of Vienna‘s Golden Age, 1900-1918“, 22. September bis 16. Jänner 2017. Infos unter http://go.apa.at/h3eIxKcp)