In Erl ins Schwarze getroffen
Der ORF zeichnet Rossinis Oper „Guglielmo Tell“ bei den Tiroler Festspielen im Beisein des Publikums auf.
Von Ursula Strohal
Erl –Fünfzehn Tage vor Eröffnung der Erler Sommerfestspiele. Das Orchester in Dienstkleidung, Chor, Tänzer und Solisten in Kostüm und Maske. Sommerlich gekleidetes Publikum, Prosecco, Textbuch und Würstl. Man ist vielleicht im falschen Film, aber in der richtigen Oper. Belcanto-Spezialist Gustav Kuhn hat als musikalischer Leiter und Regisseur für die kommenden Festspiele Gioacchino Rossinis Oper „Guglielmo Tell“ ausgesucht, ein forderndes, leidenschaftliches, großes Werk, das acht Jahre nach Carl Maria von Webers „Freischütz“ 1829 in Paris uraufgeführt wurde und die kommende romantische Oper stark beeinflusste. Wagner-Fanatiker reisen im „Tell“ an eine der Quellen ihres Idols.
„Guglielmo Tell“ – Kuhn wählt die italienische Fassung – ist aufgrund seines Anspruchs und nicht zuletzt wegen immenser Anforderungen einiger Gesangspartien immer ein Ereignis, und erstmals entschloss sich die ORF-Führung, für die Festspiel-Opernübertragungen ein Fernsehteam nach Erl zu entsenden. Zu den gegenwärtigen vier Aufnahmetagen (noch heute Freitag und morgen Samstag, ab ca. 20 Uhr) ist Publikum bei freiem Eintritt zugelassen. Die Überraschung am Mittwoch war groß.
Unternehmungen auf der Basis von Kunst und Technik entwickeln ein Eigenleben. Das Riesenwerk dauert in Originalgestalt nahezu sechs Stunden, in Erl sind es angeblich nur knapp vier. Daraus sollten pro Akt und Abend nach der Ouvertüre je 25 Minuten aufgezeichnet werden. Bis es so weit war, lieferten sich Mutige unter kundiger Anleitung einem Armbrustschießen aus. In Erl will schließlich jeder ins Schwarze treffen. Kostüme für Selfies fanden bei herrschender Hitze allerdings wenig Beachtung, eine Kinderecke blieb leer und die Erwartungshaltung strapaziert.
Und wie das Warten dafür stand: Es wurde entschieden, statt der 25-Minuten-Häppchen jeweils den ganzen Akt zu spielen. Geschnitten wird später. Wer jeden Abend kommt, sieht die ganze Oper. Die TV-Termine: Samstag, 30. Juli, 22.20 Uhr, ORF 2 und Sonntag, 31. Juli, 20.15 Uhr, ORF III.
Dann führte Dramaturg Andreas Leisner in die Geschichte ein, das Auditorium wurde erobert, Regisseur Felix Breisach erlaubte spontanen Applaus, die Kameraleute gingen in Stellung, Rossini-Spezialist Gustav Kuhn begrüßte: „Rossini war ein viel größeres Genie, als wir gedacht haben.“ Er betritt den Orchestergraben, öffnet der Phantasie eine idyllische Landschaft. Unterbricht, lässt neu beginnen. Entfacht musikalisch mit seinen Ensembles und vorzüglichen Solisten sowie szenisch in einer Art, wie man sie von ihm bisher noch nicht sah, ein Feuerwerk. Fortsetzung nach der Premiere.