Großbritannien stimmte für den EU-Austritt - Ernüchterung in Brüssel

London (APA/AFP/Reuters) - In einem historischen Referendum haben die Briten für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt: Nach offi...

London (APA/AFP/Reuters) - In einem historischen Referendum haben die Briten für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt: Nach offiziellen Angaben votierten 51,9 Prozent für den Brexit. Insgesamt hätten sich 17,4 Millionen Menschen für den Brexit ausgesprochen, teilten die britischen Behörden Freitag früh nach Auszählung sämtlicher 382 Wahlbezirke mit.

16,1 Millionen Menschen und damit 48,1 Prozent der Beteiligten stimmten dagegen für den Verbleib in dem Staatenbund. Großbritannien ist damit das erste Land, das die EU verlässt. Insgesamt 46,5 Millionen Bürger hatten sich für das Referendum registriert - 72,2 Prozent von ihnen gaben schließlich ihre Stimme ab.

Die Trennung der zweitgrößten europäischen Wirtschaft von der EU dürfte weltweit an den Börsen drastische Kursverluste auslösen. Das britische Pfund stürzte auf ein 30-Jahres Tief ab.

Der britische Premierminister David Cameron, der in der Kampagne das Lager der EU-Befürworter angeführt hatte, wird nach Angaben seines Außenministers auch nach dem Votum seiner Landsleute für den Austritt aus der Europäischen Union Regierungschef bleiben. „Er wird Premierminister bleiben und die Anweisungen des britischen Volkes ausführen“, sagte Außenminister Philip Hammond dem Fernsehsender Sky News.

Jubel herrschte bei den Brexit-Anhängern. Nigel Farage von der UK Independence Party (UKIP) sprach von einem „Sieg für die einfachen Leute“. UKIP-Anhänger antworteten mit „Raus, raus, raus!“ Nach dem Brexit-Votum ist die Sorge vor einem Erstarken von Nationalisten und Rechtspopulisten in vielen EU-Hauptstädten groß. In den Niederlanden forderte der Rechtspopulist Geert Wilders sogleich ebenfalls ein „Nexit“-Referendum für sein Land. Ähnlich äußerte sich die Chefin der französischen Front National (FN), Marine Le Pen, für ihr Land.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) befürchtet keine weiteren Austritte aus der Europäischen Union. „Die Kettenreaktion wird es nicht geben“, sagte Schulz im „Morgenmagazin“ des ZDF. Zur Begründung verwies er unter anderem auf die negativen Reaktionen von Wirtschaft und Börse auf die Entscheidung der Briten. Das Pfund rutschte gegenüber dem Dollar deutlich ab.

Schulz rechnet nun mit dem raschen Beginn der Austrittsverhandlungen zwischen London und Brüssel. „Ich gehe davon aus, dass die Verhandlungen schnell über den Austritt beginnen werden.“ Großbritannien muss nach Artikel 50 des EU-Vertrages die EU über den Austritt offiziell informieren. Dann beginnt eine zweijährige Frist, in der beide Seiten die Entflechtung ihrer Beziehungen aushandeln.

In Brüssel kommen am Freitag die Spitzen der EU-Institutionen zusammen, um über die Folgen des britischen Austritts zu beraten. An dem Treffen um 10.30 Uhr nehmen Kommissionschef Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk und Schulz sowie der niederländische Regierungschef Mark Rutte teil, dessen Land die halbjährlich wechselnde EU-Ratspräsidentschaft innehat. Zuvor tagen die Fraktionsvorsitzenden der Parteien im Europaparlament.

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich am Freitag im Ö1-Morgenjournal in einer ersten Reaktion in London schockiert und überrascht über das Ergebnis des Votums in Großbritannien. Wenn eines der größten EU-Mitgliedsländer aus der EU austrete, könne „kein Stein auf dem anderen bleiben“. Die Abstimmung der Briten sei „definitiv ein Erdbeben“, so der Minister. „Die EU wird überleben“, sagte Kurz. Es sei aber notwendig, dass sich die EU schnell neu aufstelle, wenn sich ein solches Referendum nicht in einem anderen EU-Land wiederholen solle.

Die deutsche Regierung reagierte bestürzt auf den Ausgang des Referendums. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärte, die Nachrichten aus Großbritannien seien „wahrlich ernüchternd“, wie das Auswärtige Amt auf Twitter mitteilte. Steinmeier sprach von einem „traurigen Tag für Europa und Großbritannien“.

Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU) erklärte, die EU müsse sich nun verändern: Nötig sei ein „besseres und smarteres Europa“, schrieb er auf Twitter. „Wir müssen die Menschen überzeugen und Europa wieder zu ihnen bringen.“ Die nun bevorstehenden Austrittsverhandlungen mit London müssten „in maximal zwei Jahren abgeschlossen sein“. Es könne „keine Sonderbehandlung geben. Austritt ist Austritt.“

Schottland will beim Brexit keinen gesamtbritischen Weg. Der BBC sagte die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon: „Schottland hat klar und entschieden für den EU-Verbleib gestimmt, mit 62 zu 38 Prozent.“ Schottland gehört mit Wales, Nordirland und England zum Vereinigten Königreich und ist traditionell proeuropäisch.

Vor zwei Jahren hatten die Schotten über eine Abspaltung von Großbritannien abgestimmt, damals hatte die Bevölkerungsmehrheit London aber die Treue gehalten. Für den Fall des Brexit hatte Sturgeon angedeutet, einen neuen Anlauf zu einem Unabhängigkeitsreferendum zu erwägen.