Gina-Lisa Lohfink und Berliner Justiz ringen um ihr Ansehen
Berlin (APA/AFP/dpa) - Die Frage lautet, ob deutsche Gerichte willens und in der Lage sind, die Grundrechte potenzieller Vergewaltigungsopfe...
Berlin (APA/AFP/dpa) - Die Frage lautet, ob deutsche Gerichte willens und in der Lage sind, die Grundrechte potenzieller Vergewaltigungsopfer ungeachtet ihres Ansehens zu wahren. Und sie steht im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion um einen Prozess in Berlin, in dem das deutsche Model Gina-Lisa Lohfink wegen falscher Verdächtigung angeklagt ist.
In dem am 1. Juni eröffneten Hauptverfahren wirft die Staatsanwaltschaft der 29-Jährigen vor, zwei Männer wider besseres Wissen der Vergewaltigung zu bezichtigen. Der Prozess ist zu einem viel beachteten Grundsatzstreit über die Rechte von Missbrauchsopfern avanciert. Dabei fühlen sich Streitparteien - die Angeklagte und die Berliner Justiz - von der jeweiligen Gegenseite öffentlich diffamiert.
Die Anklage hält den in einem Internetvideo verbreiteten Sex zwischen Lohfink und den beiden Männern für einvernehmlich. Der von der jungen Frau in einer polizeilichen Vernehmung geäußerte Vorwurf, mittels K.o.-Tropfen manipuliert worden zu sein, erfunden. Die Anklage beruft sich unter anderem auf einen Gutachter, der die Aufnahmen auswertete.
Ein Skandal, finden Lohfink und ihr Anwalt Burkhard Benecke. „Wenn man sich nicht einmal mehr in Vernehmungen frei äußern darf, braucht man sich nicht wundern, wenn sich Vergewaltigungsopfer nicht der deutschen Polizei anvertrauen“, sagt Benecke. Er zweifelt am unvoreingenommenen Umgang der Justiz mit seiner Mandantin, die als Boulevardprofi manchen Skandal hinter sich hat - einschließlich Internetsexvideos.
Sequenzen aus dem Video vom Sommer 2012 sind tatsächlich verstörend: Lohfink wirkt während des Akts passiv und sagt hörbar „Nein“ und „Hör auf“. Lohfinks Aufforderung beziehe sich auf das Filmen, sagt der Verteidiger eines der beiden Männer, der wegen Verbreitung der Aufnahmen bereits eine Geldstrafe ausgefasst hat. Der andere Beschuldigte war für die Justiz nicht auffindbar.
Lohfink hat sich nach Justizangaben bisher einer Befragung durch das Gericht verweigert. Am ersten Verhandlungstag ließ sie lediglich eine Einlassung verlesen: Sie sei in der Wohnung festgehalten worden, habe sich bedroht gefühlt und dem Sex mit Sebastian C. beziehungsweise dem Sex mit beiden Männern nicht zugestimmt.
Am selben Tag kam es auf dem Gerichtsflur zum Eklat, als Lohfink mit drei jungen Männern wegen angeblicher Handyaufnahmen aus dem Gerichtssaal in Streit geriet. Ihre Verteidiger sind empört, dass die Männer unerkannt entkommen konnten. Das Gericht wähnt sich als Schauplatz einer Inszenierung für die zahlreichen Kameras, nachdem Lohfinks Verteidiger im Frühjahr eine Medienkampagne initiiert hatten.
„Die öffentliche Aufmerksamkeit hat mit dazu geführt, dass die Regelungen im Sexualstrafrecht reformiert wurden“, sagt Benecke unter Verweis auf eine von der deutschen Regierung eingeleitete Gesetzesnovelle. Lohfink wurde tatsächlich zu einer Galionsfigur vieler Befürworter eines strengeren Sexualstrafrechts. Diese wollen am Montag vor dem Gericht für Lohfink demonstrieren. Dann sollen Absperrgitter aufgestellt und Besucher kontrolliert werden.
Beide Seiten wollen ein Urteil noch am selben Tag. An dessen Ende droht einer der Streitparteien ein erheblicher Reputationsverlust: Lohfink könnte als leichtlebige Lügnerin dastehen - oder die Berliner Staatsanwaltschaft als potenzieller Ankläger von Opfern sexueller Gewalt.
Der Rummel um Lohfink vor Gericht fällt zusammen mit der politischen Debatte um die Verschärfung des Sexualstrafrechts, die auf die Formel „Nein heißt Nein“ verkürzt wird. Gemeint ist: Eine Frau muss nicht schreien oder sich körperlich wehren, sexuelle Handlungen gegen ihren Willen sind trotzdem Unrecht. Denn es kann viele Gründe geben, keinen Widerstand zu leisten. Angst vor Gewalt etwa oder die Befürchtung, die Kinder zu wecken.
Die große Koalition in Berlin möchte das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschieden. „Wir glauben, dass ohne diesen Fall es diese schnelle Entscheidung auf Bundesebene nicht gegeben hätte“, meint Lohfinks Verteidiger Benecken.
Ob das nun stimmt oder nicht: Mit Gina-Lisa Lohfink hat die Debatte ein Gesicht. Unter anderem Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) trug dazu bei, als sie „Spiegel Online“ sagte: „‘Nein heißt Nein‘ muss gelten. Ein ‚Hör auf‘ ist deutlich.“ Der Bezug auf das Video ist klar - auch wenn man darüber im Ministerium nicht mehr gern spricht. Weniger klar ist, ob Justizminister Heiko Maas (SPD) sich einmischt, oder gegenüber der „Bild“-Zeitung nicht doch nur allgemein eine Verschärfung des Sexualstrafrechts anmahnt. Eine Sprecherin sagt: Der Minister äußert sich nicht zu Einzelfällen.
Dagegen preschte der Berliner Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) vor: „Die Staatsanwaltschaft hat nicht tendenziös, sondern im Gegenteil extrem gründlich den Fall recherchiert.“ Er selbst habe die Akten studiert. Manche Anwälte wundern sich: Zu einem laufenden Verfahren darf der Senator sich nicht äußern. Eine Rolle könnte spielen, dass im September ein neues Abgeordnetenhaus gewählt wird.
Aber Heilmann weist auch auf ein Problem hin: Er fände es „sehr bedauerlich, wenn sich Frauen daran gehindert sähen, sich an die Justiz zu wenden und das Vertrauen in die Justiz reduziert wäre“, weil sie befürchten müssten, nicht angemessen behandelt zu werden. Wenigstens in diesem Punkt sind sich wohl alle Seiten im Fall Gina-Lisa Lohfink einig.