Nach dem Brexit muss sich die EU ändern - aber was und wie?

Luxemburg (APA) - In einem Punkt sind sich alle - Briten und Kontinentaleuropäer, EU-Gegner und EU-Befürworter - nach dem schockartigen brit...

Luxemburg (APA) - In einem Punkt sind sich alle - Briten und Kontinentaleuropäer, EU-Gegner und EU-Befürworter - nach dem schockartigen britischen EU-Austrittsvotum einig: Die EU kann nicht bleiben wie sie ist. Doch über diesen kleinsten gemeinsamen Nenner hinaus wird es schwierig, einen zeitgemäßen Konsens über das europäische Projekt und die viel beschworene Solidarität zu finden.

„Europa muss sich nun reformieren, um zu überleben“, sagte der Chef der Liberalen im EU-Parlament und ehemalige belgische Premier, Guy Verhofstadt am Tag danach. Das Ergebnis des In-Out-Referendums sei „ein Weckruf“. „Eine Währungsunion ohne eine politische Union wird einfach nicht funktionieren“, sagte der federführende „Integrationist“.

Gebetsmühlenartig äußerten die EU-Außenminister ihr Bedauern über das „Leave“ der Briten und versicherten, dass diese „Meilenstein-Entscheidung“ respektiert werden müsse. Auch herrscht weitgehend Einsicht darüber, dass das Problem nicht auf Großbritannien und das bevorstehende „Scheidungsverfahren“ beschränkt sei. Für Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) sind die Verhandlungen mit London das kleinere Problem. Das größere liege in der Weiterentwicklung Europas.

Die EU müsse noch stärker in den „großen Fragen“ wie einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik werden, sagte Kurz am Freitag in Luxemburg. Dafür soll sich die EU in „kleineren Fragen“ weniger einmischen, forderte er.

Doch der Ruf nach mehr EU-Integration stößt rasch auf seine Grenzen. „Es gibt zwei große Gefahren: Die eine ist ein Reflex jener, die Europa zerlegen wollen. Und die anderen sagen: Wir müssen alle sofort noch zu mehr Brüssel und mehr Integration übergehen. Was wir hier tun müssen ist nicht, den Normalbetrieb weiterzuführen, sondern auf die wirklichen Sorgen der Bürger achten“, sagte der niederländische EU-Ratsvorsitzende und Außenminister Bert Koenders. Er forderte praktische und rasche Lösungen „in den wichtigen Fragen“ ein.

„Wir glauben an das europäische Projekt. Aber wir müssen es attraktiver für die Bürger machen“, sagte der slowakische Außenminister Miroslav Laijcak, dessen Land am 1. Juli den Vorsitz in einer über Nacht veränderten Europäischen Union übernimmt.

Die Leier nach mehr Bürgernähe steht seit mehr als einem Jahrzehnt im Raum, seit die Niederländer und die Franzosen 2005 den EU-Verfassungsvertrag abgelehnt haben. Tatsächlich hat das Europäische Parlament als einzig direkt gewählte EU-Institution stets an Befugnissen gewonnen. Doch bei den Bürgern ist das europäische Projekt über die Jahre noch unpopulärer geworden - nicht zuletzt nach dem Scheitern europäischer Ansätze in der Flüchtlings- und Migrationspolitik.

Was kommt nun? Die Einberufung eines „Konvents“ für eine weitere EU-Vertragsreform steht zumindest für viele EU-Abgeordnete als Möglichkeit im Raum. Skeptiker halten dem entgegen, dass dies wohl kaum rasch die akuten Probleme der EU lösen werde. Schwedens Europaministerin Ann Linde sagte etwa, ihr Land sei jetzt gegen eine EU-Vertragsreform. „Wir brauchen eine engere Beziehungen mit unseren Menschen und eine Konzentration auf die wirklich wichtigen Fragen.“

Doch der von dem scheidenden britischen Premier David Cameron gerufene Referendumsgeist scheint nach dem britischen Votum nicht rasch zurück in die Flasche zurückzukehren - im Gegenteil. Schottland will ein zweites Unabhängigkeitsreferendum durchführen und in der EU bleiben. In Frankreich, den Niederlanden und Dänemark fordern rechte Populisten auch EU-Abstimmungen.

„Die EU wird überleben“, so Kurz. Es sei aber notwendig, dass sich die EU schnell neu aufstelle, wenn sich ein solches Referendum nicht in einem anderen EU-Land wiederholen soll. „Ohne Anpassung und ohne Reform riskieren wir, dass wir ein oder zwei in den nächsten fünf bis sechs Jahren verlieren“, sagte der polnische Europa-Staatssekretär Konrad Szymanski. „Eine kleinere Union ist nicht die richtige Antwort auf die heutigen Herausforderungen.“