Brexit - Austritt erschüttert die EU in ihren Grundfesten
London (APA/AFP) - Der Brexit erschüttert Europa in seinen Grundfesten. Brüssel stand am Freitag unter Schock. Auf die Fassungslosigkeit und...
London (APA/AFP) - Der Brexit erschüttert Europa in seinen Grundfesten. Brüssel stand am Freitag unter Schock. Auf die Fassungslosigkeit und manche Träne folgte in Brüssel Wut auf den britischen Premier David Cameron, der den Austritt nun auch noch um Monate hinauszögern will. Einig waren sich alle, dass die EU sich verändern muss - auch um einen Dominoeffekt zu verhindern.
Vor der britischen Botschaft im EU-Viertel lagen in der Früh noch Blumen, aus denen die Worte „Please stay“ - „Bitte bleibt“ gebildet waren. Angesichts entsprechender Umfragen waren die Hoffnungen in Brüssel groß gewesen, dass die Briten für einen Verbleib in der EU stimmen würden.
„Das war ein Schock“, sagt eine EU-Beamtin. „Wir haben uns in dem Glauben eines ‚Remain‘ schlafen gelegt und sind mit dem Brexit aufgewacht.“ Die Emotionen sind stark an diesem Tag: Als ihr bei klar geworden sei, dass ihre britischen Parteifreunde das Europaparlament verlassen müssten, sei sie „in Tränen ausgebrochen“, sagt die Ko-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rebecca Harms.
Auch eine Mitarbeiterin des britischen Finanzkommissars Jonathan Hill weint - mehr aus Wut darüber, dass sich die Brexit-Befürworter mit ihrer Kampagne gegen EU-Einwanderer und Brüsseler Bürokratie durchgesetzt haben. „Die Angst hat ihren ersten echten Sieg in Europa seit 1945 errungen“, sagt Jan Techau vom Institut Carnegie Europe. Dies könne „ein Wendepunkt“ und „sehr, sehr schlecht“ für Europa sein.
Natürlich habe sich die EU auch auf dieses Szenario vorbereitet, sagt Ratspräsident Donald Tusk am in der Früh. Die verbliebenen 27 Länder seien entschlossen, ihre Einheit zu erhalten - „hysterische Reaktionen“ seien unnötig. Am Ende zitiert der Pole seinen Vater: „Was dich nicht umbringt, macht dich härter.“
Doch ein „Weiter so“ könne es nicht geben, heißt es von vielen Seiten - auch weil das Abstimmungsergebnis umgehend Europakritiker in anderen Ländern bestärkt, ihrerseits Referenden zu fordern. Die Angst vor dem „Dominoeffekt“ ist groß. Parlamentspräsident Martin Schulz hofft aber, dass die negativen Reaktionen von Wirtschaft und Börsen eine „Kettenreaktion“ verhindern.
Doch das Gefühl einer existenziellen Bedrohung ist spürbar: Ob das nun der Anfang vom Ende der EU sei, fragt eine Journalistin Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittag. „Nein“, sagt der kaum hörbar, dreht sich um und verlässt den Saal.
Verärgert reagiert Rest-Europa, dass Cameron die EU weiter hinhält und das offizielle Austrittsgesuch nach seinem Rücktritt im Oktober erst durch seinen Nachfolger einreichen lassen will. Erst danach würde die zweijährige Frist laufen, in der beide Seiten die Modalitäten des Austritts verhandeln. Solange bleibt Großbritannien EU-Vollmitglied.
„So schnell wie möglich“, müsse die Erklärung kommen, fordern Juncker, Tusk und Schulz am Freitag gemeinsam. „Jede Verzögerung würde die Unsicherheit unnötigerweise verlängern.“