Brexit - Bankanalysten sehen Großbritannien in Rezessionsgefahr

London (APA) - Die Analysten internationaler Bankhäuser erwarten in ersten Reaktionen weitreichende Auswirkungen des britischen Ja zu einem ...

London (APA) - Die Analysten internationaler Bankhäuser erwarten in ersten Reaktionen weitreichende Auswirkungen des britischen Ja zu einem Ausstieg des Landes aus der Europäischen Union. Für die Analysten der Credit Suisse ist das Brexit-Votum der größte bisherige Rückschritt von dem seit dem Ende des zweiten Weltkrieg geltendenden Konsensus hinsichtlich europäischer Integration und Freihandel.

Das Abstimmungsergebnis sei zwar in seiner Auswirkung auf das Finanzsystem nicht mit der Lehman-Pleite vergleichbar, stelle aber einen entscheidenden Wendepunkt dar. Großbritannien habe einen signifikanten Schritt zurück im Globalisierungsprozess gemacht, so die Analysten.

Die Credit Suisse-Ökonomen erwarten jetzt für das zweite Halbjahr ein Abrutschen der britischen Konjunktur in eine Rezession. Die Experten haben ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum in Großbritannien für 2016 von 1,8 auf 1,0 Prozent und für 2017 von 2,3 auf minus 1,0 Prozent revidiert. Die Eurozone dürfte es glimpflicher treffen, die Analysten haben ihre Prognose für ihr Wachstum für heuer von 1,7 auf 1,5 und für 2017 von 2,0 auf 1,0 Prozent gesenkt.

Auch die UniCredit hält eine Rezession in Großbritannien für wahrscheinlich und kürzt ihre BIP-Prognose für das Land für 2017 von 2,1 auf in etwa null Prozent. Die UBS erwartet jetzt ebenfalls ein drastisch geringeres Wachstum in Großbritannien.

Zudem dürfte der Ausgang des Referendums nach Einschätzung der Credit-Suisse-Experten populistische Parteien auf beiden Seiten des politischen Spektrums in Europa stützen und damit wahrscheinlich zu einer weitere Fragmentierung der Union führen.

Die Analysten der UniCredit erwarten naturgemäß starke Auswirkungen auf die Zukunft der Handelsbeziehungen der Briten mit der EU. Die für die Briten am wenigsten kostspielige Variante wäre die „norwegische“ Option eines Beitritts zur EFTA und damit eines Verbleibens im Binnenmarkt, was aber eine Einhaltung vieler EU-Gesetze bedingt ohne aber die Mitspracherechte zu haben. Dies würde allerdings den Autonomiebestrebungen der „Leave“-Befürworter widersprechen, die UniCredit hält daher eher ein ähnliches Freihandelsabkommen wie zwischen der EU und Kanada (CETA) für wahrscheinlicher.

Auch das Geschäftsklima in Großbritannien dürfte unter den politischen Unsicherheiten nach dem Brexit-Entscheid deutlich leiden, schreiben die Analysten der ING. 75 Prozent der britischen Firmen haben sich laut Umfragen für einen Verbleib in der EU ausgesprochen, das Brexit-Votum sollte sich daher in schwächeren Investitionen und Neueinstellungen niederschlagen. Die unsicheren Beziehungen mit der EU könnten schließlich auch Auslandsinvestoren abschrecken. Auch ein wahrscheinlicher gewordenes Schottland-Referendum dürfte zu den politischen Risiken beitragen, so die UniCredit.

Die Bank of England dürfte nach Einschätzung von Experten die Zinsen bald senken, um die Wirtschaft zu unterstützen. Die Credit Suisse-Analysten erwarten noch im Sommer eine Senkung der Leitzinsen von 0,5 auf 0,05 Prozent.

Die starken Verluste des Pfund dürften zwar die Inflation anheizen, was gegen eine Zinssenkung spricht. Die Bank of England dürfte aber die Wachstumsrisiken wichtiger nehmen als Inflationsrisiken und die Zinsen höchstwahrscheinlich senken, lautet die Einschätzung der Experten von ING und UniCredit. Auch die UniCredit erwartet schnelle Zinssenkungen in Richtung null Prozent, aber nicht darunter. Auch die US-Notenbank Fed dürfte angesichts der Brexit-Risiken bei ihren erwarteten Zinserhöhungen das Tempo zurück nehmen, so der Grundtenor der Ökonomen.