Brexit - IV sieht BIP der Briten 2030 um 3 bis 10 Prozent niedriger

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Wien/London (APA) - Der „Schaden“ eines EU-Austritts dürfte für die Briten zwischen drei und zehn Prozent der Wirtschaftsleistung liegen - je nachdem, wie der Umgang der EU mit den Briten in der Zukunft ist, ergeben vier Szenarien der Industriellenvereinigung. Der Austritt komme einer „Selbstsanktionierung“ gleich, sagt IV-Chefökonom Christian Helmenstein, der der EU von einem Rosenkrieg abrät.

Falls die Briten am Ende Sonderverträge bekommen wie die Schweizer und ihnen ein wenig Rosinenpicken erlaubt wird, dann wird der volkswirtschaftliche Verlust auf der Insel bis 2030 immer noch 3 bis 3,5 Prozent des BIP betragen. Sollten die Briten aber gänzlich vom Binnenmarkt abgeschnitten werden und sie wie ein Drittland nur mehr auf Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zurückgreifen können, dann könnte der Verlust 2030 bei neun oder zehn Prozent des BIP liegen. Pro Kopf wären das jährlich 5.000 Pfund (derzeit 6.500 Euro) Verlust. Das WTO-Szenario hieße letztlich Zölle einführen. Es würden aber nicht nur die Warenströme leiden, sondern noch mehr die Dienstleistungen, insbesondere die Finanzdienstleistungen.

Helmenstein rät der EU dringend davon ab, den Briten bei der Trennung das Leben besonders schwer zu machen. „Die Union hat auf europäischer Ebene eine Verantwortung für alle europäischen Bürger. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man wie im Rosenkrieg das möglichst teuer gestalten möchte.“ Andere Staaten sollte man mit Reformen motivieren, in der EU zu bleiben. Etwa mit einem Abbau von Bürokratie, einer Vertiefung des Binnenmarkts, mehr Mobilität für Arbeitslose und Ähnlichem. Außerdem sei ein Verlust von drei Prozent des BIP auch schon ein ausreichend großer Schaden, um andere abzuschrecken. „Ein Rosenkrieg wäre ein Zeichen, dass wir nichts gelernt haben.“

Für Österreich rechnet die EU zum Vergleich bis 2030 mit einem Verlust der Wirtschaftsleistung von unter 0,2 Prozent.

Helmenstein rechnet damit, dass jetzt nach der Brexit-Entscheidung als erstes die Investitionen in Großbritannien einbrechen werden. Angesichts der Unsicherheit würden viele Firmen kein Geld in die Hand nehmen wollen - darunter möglicherweise Autokonzerne wie BMW und Daimler. Da sich aber kein Unternehmen leisten könne, zwei Jahre lang - so lange sollen die Austrittsbedingungen mindestens verhandelt werden - nicht in neue Technologien zu investieren, sei eine Abwanderung eine Option.

Das wiederum eröffnet für Österreichs Ostregion Chancen, sagt Helmenstein. Zuletzt habe es einen starken Anstieg britischer Investitionen gegeben, im Osten Österreichs arbeiteten schon 8.000 Menschen bei Firmen britischer Investoren. Auf dieser Basis könnten neue Deals an Land gezogen werden.

Mittelfristig werden „gewisse Teile“ der Finanzindustrie aus London abwandern. Denn in London hätten sie für EU-Geschäfte auf Dauer zwei Regulierungen, die britischen und die EU-Bestimmungen - außer London würde weiter alle EU-Regeln eins zu eins übernehmen. Nicht alle Banken würden dann aber in die EU übersiedeln, manche würden andere, billigere Standorte außerhalb Europas suchen, warnt Helmenstein vor zu viel Vorfreude in Frankfurt und Paris.

Für den österreichischen Fremdenverkehr erwartet Helmenstein derzeit keine Auswirkungen. Zwar werden die Briten weniger Geld zur Verfügung haben und daher weniger reisen. Da aber das Pfund zum US-Dollar stärker abgewertet hat als zum Euro, wird die EU - relativ - günstiger als der in Dollar verrechnende Teil der Welt. Die beiden Effekte könnten sich aufheben.

Der Ausgang der Brexit-Volksabstimmung zeige „das Privileg einer Mehrheit, Fehler zu begehen“, meint Helmenstein. Auch zeigten sich darin Mängel in der wirtschaftlichen und politischen Bildung der Bevölkerung. Aber „die Fehlentscheidung trifft die Briten als erstes selber“.