Brexit - Die Alten entscheiden, die Jungen leiden
London (APA/AFP) - Das Brexit-Votum macht tiefe Gräben in der britischen Gesellschaft sichtbar, zwischen den Landesteilen, zwischen Stadt un...
London (APA/AFP) - Das Brexit-Votum macht tiefe Gräben in der britischen Gesellschaft sichtbar, zwischen den Landesteilen, zwischen Stadt und Land - und zwischen Alt und Jung. Während viele ältere Briten den nun beschlossenen Ausstieg aus der Europäischen Union herbeisehnen, sind zahlreiche junge Leute wütend und verzweifelt darüber, dass ihre Zukunft nun außerhalb der EU stattfinden soll.
In sozialen Netzwerken und auf der Straße machen sie ihrem Ärger Luft. „Wir Jungen müssen ausbaden, was die Alten entschieden haben“, lautet dabei der Tenor. „Ich bin wütend“, sagt die 23-jährige Technologie-Beraterin Mary Treinen. „Diejenigen, die für den Ausstieg gestimmt haben, werden sich nicht mit der Zukunft auseinandersetzen müssen.“
51,9 Prozent der Briten hatten am Donnerstag für den Brexit gestimmt, 48,1 Prozent dagegen. Bei den Bürgern im Pensionsalter, die die Zeit vor dem Beitritt Großbritanniens zur damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) im Jahr 1973 noch gut in Erinnerung haben, war die Unterstützung für das „Leave“-Lager besonders groß.
Laut einer Umfrage des Instituts Michael Ashcroft unter 12.000 Referendumsteilnehmern votierten 60 Prozent der über 65-Jährigen für den Austritt aus der EU. Von den 18- bis 24-Jährigen Wählern sprachen sich hingegen 73 Prozent für einen Verbleib in der EU aus, bei den 25-34-Jährigen waren es immerhin 62 Prozent.
„Die jungen Leute, die mit überwältigender Mehrheit für das Bleiben gestimmt haben, dürfen nicht übers Ohr gehauen werden“, forderte der Chef der oppositionellen Labour Party, Jeremy Corbyn, am Samstag bei einem Parteitreffen in London.
Bereits am Freitag versammelten sich einige von ihnen vor dem Sitz des Premierministers in der Londoner Downing Street. „Ich finde es nicht richtig, dass die alten Menschen für uns sprechen“, sagte der 21-jährige Barmann Richie Xavier bei der Protestaktion. „Ich will ja nicht gefühllos sein, aber wir haben eine viele längere Zeit vor uns als die. Deshalb fühle ich mich irgendwie meiner Zukunft beraubt.“
Der 21-jährige Paddy Baker bewertet das Brexit-Votum ähnlich: „Ältere Menschen haben dafür gestimmt - aber wir werden diejenigen sein, die die Konsequenzen zu spüren bekommen.“
Selbst Politiker wissen nicht, wie diese Konsequenzen aussehen werden. „Ich muss immer noch erst mal damit klar kommen, was uns bevorsteht“, sagt Terence Smith aus Goole, mit 19 Jahren der jüngste Bürgermeister Großbritanniens. Es gebe „eine schreckliche Kluft zwischen den Generationen, die wir überwinden müssen“.
So weit ist es aber wohl noch lange nicht. Jetzt laden junge Briten erst einmal ihren Frust ab. Der Ausgang des EU-Referendums sei ein Rückschritt, schreibt der Cambridge-Student Matthew van der Merwe in einem Leserbrief an die „Financial Times“. „Viel von dem Optimismus, den ich mit den meisten meiner Generation geteilt habe, ist jetzt weg.“
Unter dem Schlagwort „#NotInMyName“ (Nicht in meinem Namen) machen junge Briten im Kurznachrichtendienst Twitter klar, dass sie ganz und gar nicht hinter der Brexit-Entscheidung stehen. „Dieses Votum repräsentiert nicht die jüngere Generation“, konstatiert etwa Luke Tansley.
Eine Nutzerin namens Rebecca meint: „Das Schicksal unseres Landes wurde von Leuten entschieden, die sich nach einer Vergangenheit sehnen, die es nie gab, und sie haben eine Zukunft geschaffen, die freudlos ist.“ Noch emotionaler drückt Eleanor aus, wie wohl viele ihrer Altersgenossen empfinden: Der Brexit sei „eine Entscheidung, die meine Zukunft in eine verwandeln wird, die ich nie wollte“.