Kurt Kotrschal 2 - Hunde als „soziale Schmiermittel“

Wien (APA) - APA: Die heutige Welt ist hochtechnologisiert, die Menschen leben mehrheitlich in Städten. Wozu brauchen sie da noch Hunde?...

Wien (APA) - APA: Die heutige Welt ist hochtechnologisiert, die Menschen leben mehrheitlich in Städten. Wozu brauchen sie da noch Hunde?

Kurt Kotrschal: Paradoxerweise ist es so: Je mehr Menschen in Städten leben, umso mehr Hunde halten sie. Das weist für mich darauf hin, dass das Stadtleben Komponenten aufweist, für die die menschliche Psyche nicht vorbereitet ist. Ich möchte das Landleben nicht romantisch verklären, aber in den Städten ist alles hektischer und es gibt durch die elektronischen Sozialmedien immer weniger reale Kontakte zwischen den Leuten. Mit einem Hund müssen sie aber unmittelbar kommunizieren, und diese sind sehr fähig, unsere sozialen Grundbedürfnisse zu erfüllen.

Außerdem sind Hunde quasi „soziale Schmiermittel“ für Beziehungen von Mensch zu Mensch: Schwierige Kinder kommunizieren in ihrer Gegenwart viel ruhiger und netter miteinander, ältere Leute sind viel besser vernetzt und gesünder, wenn sie mit einem Hund leben, und die Kommunikation innerhalb einer Familie mit Hund ist intensiver und besser, als in hundelosen Familien. Wichtig ist dabei aber immer, dass die Beziehungsqualität zum Hund stimmt. Sie ist ein Schlüssel für die soziale und gesundheitliche Wirksamkeit von einem Hund.

APA: Hunde kooperieren, wie sie im Buch ausführen und wissenschaftlich gezeigt wurde, besser mit Menschen als Artgenossen. Macht es dennoch Sinn, sich ihnen gegenüber als Alpha-Tier und Rudelführer aufzuspielen, wie manche „Hundeexperten“ erklären?

Kotrschal: Im Gegensatz zu Wölfen stört es Hunde viel weniger, wenn sie sehr dominant behandelt werden. Sie sind durch die Domestikation viel toleranter gegenüber sozialer Inkompetenz vonseiten der Menschen geworden. Daher vertragen sie auch die alten Schäferhundmethoden besser, also ein Anschreien, Herumkommandieren und militärischen Umgangston. Damit zerstört man aber die Qualität der Langzeitbeziehung. Wenn ich als Chef in einem Betrieb ständig auf den Tisch hau und meine Leute anschrei, werden sie wahrscheinlich tun was ich sage, aber nicht mehr. Die Beziehungsqualität ist dann bei Null und eigenständiges Denken abgeschaltet. Genau so ist das bei Hunden.

Die Alternative dazu ist ein positiver Führungsstil. Hunde wollen geleitet werden - wenn ich als menschlicher Partner weiß, was ich will und das dem Hund klar kommuniziere, wird er freudig dabei sein. Man muss durchaus Grenzen setzen, aber das kann in einem freundlichen Ton passieren, man muss dazu nicht herumbrüllen. Dominieren und Gewaltmaßnahmen sind nicht nötig und kontraproduktiv.

APA: Woher kommt dieser Glaube, Hunde dominieren zu müssen und sich teils mit Gewalt durchzusetzen?

Kotrschal: Das hat historische Wurzeln. Man hat geglaubt, Wolfsrudel seien irrsinnig hierarchisch organisiert und der Alpha-Wolf setzt sich durch, indem er den anderen in den Hintern beißt, wenn sie nicht tun, was er sagt. Nichts davon ist wahr. Wölfe leben eine relativ meritokratische Gesellschaft, also jene haben das Sagen, die die meiste Erfahrung mitbringen. So wie es früher auch bei den Menschen war.

APA: Sie schreiben schließlich, Menschen ohne Hunde sind irgendwie unvollständig - was fehlt ihnen?

Kotrschal: Auf jeden Fall einmal ein sozialer Bonus: Ein Berliner Soziologe hat herausgefunden, dass sogar hundekritische Personen Hundehalter insgeheim bewundern und beneiden. In Begleitung eines Hundes wird man positiver wahrgenommen, wenn es nicht gerade ein kampfbereiter Listenhund ist. Deshalb verwendet auch die Werbung immer öfter unmotiviert das Auftauchen von Hunden, diese sind hier ein Symbol für ein gut funktionierendes Sozialleben. Unvollständig heißt natürlich nicht, dass jeder einen Hund haben muss. In Österreich wohnen aber zwei Millionen Menschen mit 700.000 Hunden zusammen, da muss man natürlich auch fordern, dass die Wohnungen und Städte entsprechend hundefreundlich gebaut werden. Damit sind sie übrigens gleichzeitig kinderfreundlich, weil Hunde und Kinder sehr ähnliche Bedürfnisse haben.

(Das Interview führte Jochen Stadler/APA)

ZUR PERSON: Der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal ist Professor an der Universität Wien, Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau im Almtal (OÖ) und Mitbegründer des Wolf-Science-Center in Ernstbrunn (NÖ). Er wurde vom „Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten Österreichs“ zum Wissenschafter des Jahres 2010 ernannt und sein 2012 erschienenes Buch „Wolf- Hund-Mensch“ als österreichisches Wissenschaftsbuch des Jahres ausgezeichnet.

(SERVICE - Kurt Kotrschal: „Hund und Mensch - Das Geheimnis unserer Seelenverwandtschaft“; Brandstätter Verlag; 256 S., 24,90 Euro)