Vogelflug und Schiffbruch
M.I.A. meldet sich mit einem neuen Album zurück. Politik und Pop werden darauf einmal mehr radikal zusammengedacht.
Von Silvana Resch
Innsbruck –Es wird ihre letzte Platte sein, kündigte M.I.A. im Vorfeld zu „AIM“ an, ihrem fünften Studioalbum. Elf Jahre zuvor hatte die britisch-tamilische Rapperin, die mit vollem Namen Mathangi Arulpragasam heißt, auf bis dahin einzigartige Weise Pop und Politik durcheinandergewirbelt. Gewehrsalven, Kinderchöre und weltmusikalisches Bling-Bling wurden mit ebenso viel Anklage wie popmusikalischer Anmut serviert. Mit ihrem gemeinsam mit DJ Diplo entworfenen Musikmix zog die Dritte Welt ins Musikfernsehen ein, nicht als demütiges Opfer à la Band Aid, sondern laut, zornig, brutal und grell.
Die großmäulige Künstlerin, die ebenso wie Pulp-Sänger Jarvis Cocker am renommierten Central St. Martins College of Art and Design in London studierte, produziert nicht nur ihre eigene Musik, sie näht sich auch ihre eigenen Kleider und sie dreht die Videos (zumeist) selbst, woran sie in einem Interview in der aktuellen Spex-Ausgabe erinnert. Trotzdem werde sie keinen Preis bekommen, erklärt die 41-Jährige trotzig. Eine Aussage, die freilich nicht ganz stimmt. M.I.A., die mit ihren beiden ersten Alben „Arular“ (2005) und „Kala“ (2007) sämtliche Musikmagazin-Jahresbestenlisten dominierte, war sowohl für einen Grammy-Award als auch für einen Oscar nominiert. Doch insgesamt 45 Nominerungen stehen nur neun Auszeichnungen gegenüber.
Gleich zwei Preise gab es indes für den Clip zu „Bad Girls“ bei den MTV Video Awards 2012. Im Video, das „Fast and Furious“ auf Arabisch zelebriert, sitzen keine Männer hinterm Steuer, vielmehr driften von Animal Prints verhüllte Frauen über den Asphalt. Quietschende Reifen durchbrechen die Dancehall-Nummer mit orientalischem Flair. „Live fast, die young, bad girls do it well“ rappt die Künstlerin dazu.
Weitaus kontroversieller und verstörender der Clip zu „Born Free“, veröffentlicht ein Jahr zuvor. Youtube sah sich gezwungen, das achtminütige Video zu löschen: Es zeigt, wie Militärs ein Massaker an rothaarigen Burschen verüben. M.I.A.s Einwand, dass in dem sozialen Netzwerk sehr wohl Videos von tatsächlichen Exekutionen tamilischer Zivilisten zu finden seien, änderte nichts daran. Der Tochter eines Kämpfers für die tamilische Unabhängigkeit in Sri Lanka wird oft ihr Radical Chic vorgehalten. Provokationen, die sie zur Promotion ihrer neuen Musik gezielt einsetzen würde, so der Vorwurf.
Aktuell hat sich die Künstlerin mit Kendrick Lamar und Beyoncé überworfen, weil sich diese mit der #blacklivesmatter-Bewegung nur um die Belange der Afroamerikaner kümmern würden. All lives matter hält M.I.A. dagegen, die auch mit ihrem in die Kameras gereckten Mittelfinger beim Superbowl-Auftritt 2012 Aufmerksamkeit erregte. Die Geste galt weniger dem Publikum als ihrem Ex-Verlobten, dem Milliardär und Warner-Erben Benjamin Bronfman jr., mit dem sie ein Kind hat.
M.I.A., die als Kind mit ihrer Mutter aus Sri Lanka flüchten musste, hat nichts von ihrer Kampfeslust eingebüßt. Bereits auf ihrem Debüt hatte sie globalpolitische Themen durchdekliniert, von der Asylsuche bis zu Guerilla-Kriegstaktiken. Im ersten Vorboten zum neuen Album thematisiert sie einmal mehr Flüchtlingstragödien. Im Song „Borders“, Ende 2015 veröffentlicht, gibt sie den Schutzsuchenden, die auf Booten ihr Leben riskieren, eine Stimme. Der Song ist eine ätzende Kritik an der Grenzenlosigkeit der sozialen Medien, die in krassem Gegensatz zu den realen tödlichen Grenzen stehen.
Tauben gurren indes im Diplo-Remix von „Bird Song“, den es auch in Blaqstarr-Version gibt. Dem Hörer wird angeraten, den Himmel genau zu beobachten: Es könnten Vögel sein oder Drohnen, die hoch oben ihre Bahnen ziehen. Zu Skrillex’ seltsamen Synthie-Sounds sind in „Go Off“ indes hochgepitchte Chöre zu hören, die Beats klappern fröhlich. Zu gewohnt zwingend dahinrasselnden, scheppernden Bhangra- und Dancehall-Rhythmen scheint M.I.A. einmal mehr die ganze Welt mit ihren grausamen Widersprüchen zu umfassen. Könnten Politik und Popmusik nur öfter so kaltschnäuzig durcheinandergewirbelt werden.