Chinesische Gipfelregie: Im Reich des Xi Jinping
Hangzhou (APA/dpa) - Immer wieder Händeschütteln. Mit seinem freundlichen Pokerface hält Xi Jinping Hof. Seine Körpersprache verrät wenig. W...
Hangzhou (APA/dpa) - Immer wieder Händeschütteln. Mit seinem freundlichen Pokerface hält Xi Jinping Hof. Seine Körpersprache verrät wenig. Wen mag er lieber? Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel auf jeden Fall - warum hätten sie sonst so lange gesprochen? Auf Barack Obama müsste Chinas Staats- und Parteichef eigentlich sauer gewesen sein. Hatte ihn der US-Präsident doch mit seiner Warnung vor Hegemonialgehabe geärgert. Aber: keine Regung. Sein Gesicht wie eine Maske, nicht unfreundlich. Auch bei seinem „Freund“ Wladimir Putin. Was geht in Xi vor?
Nachdem alle Hände geschüttelt, alle Reden gehalten und alle Gespräche geführt sind, feiert Xi den „Erfolg“ des G-20-Gipfels. Was China so penibel plant, kann, beziehungsweise darf gar nicht schief gehen. Die Bühne gehört allein ihm - ebenso die riesige Leinwand im Pressezentrum, wohin die Bilder des Gipfels übertragen werden. Am Ende eine „Pressekonferenz“. Nur Xi redet, kritische Fragen von Journalisten sind nicht vorgesehen. Wie üblich. Hier schreibt der Gastgeber China die Regeln.
Und was ist mit den anderen 18 Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer? Sie werden von der Gipfelregie nur eingeblendet, wenn auch Xi mit dabei ist. Der Präsident verfolgte mit dem ersten G-20-Gipfel in China vor allem ein Ziel: den Führungsanspruch der aufstrebenden asiatischen Macht in der Welt zu demonstrieren. Vom Außenseiter zum Hauptakteur, ja, sogar zum Kapitän. So feiert ihn nun auch die Propaganda: „Wir sitzen alle in einem Boot, während diesmal China den Kurs vorgibt.“
Die Gipfelbilanzen der anderen Teilnehmer fallen nicht ganz so eindeutig aus. Für die deutsche Kanzlerin war dieser G-20-Gipfel nur bedingt ergiebig. Eines ihrer Hauptthemen, die Flüchtlingspolitik, findet in der Abschlusserklärung zwar Erwähnung - jedoch nur windelweich. Ohne Verbindlichkeit und Zielvorgaben ist diese Krise aber nicht zu lösen. Merkel persönlich hat es nun in der Hand, daran etwas zu ändern. Denn Deutschland übernimmt von China die G-20-Präsidentschaft und richtet den Gipfel im Juli 2017 aus - kurz vor der Bundestagswahl. In dem jetzigen Gipfelkommunique wird bereits ein „Aktionsplan“ angekündigt.
Als Erfolg dürfte Merkel werten, dass sie mit zwei mächtigen Männern in Hangzhou den Gesprächsfaden wieder aufgenommen hat, mit denen sie nicht so gut auskommt (und umgekehrt): mit Russlands Staatschef Wladimir Putin und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. In beiden Fällen ging es darum, Eskalationen zu verhindern - mit Putin im Ukraine-Konflikt, mit Erdogan beim Zerwürfnis über die Völkermord-Resolution des Bundestags zu den Armeniern im Osmanischen Reich.
Der letzte Auftritt auf der ganz großen politischen Bühne. Der US-Präsident hatte dafür etwas nach Hangzhou mitgebracht: Die Ratifizierungsurkunde für die Pariser UN-Klimavereinbarung. Zusammen mit China traten die USA dem weitreichenden Abkommen bei. Obama äußerte sich euphorisch: „Eines Tages werden wir das hier als einen Moment sehen, in dem wir uns entschieden haben, unseren Planeten zu retten“, sagte er. Ob der Moment tatsächlich in die Geschichtsbücher gehört, hängt von der Umsetzung des Abkommens ab.
Bei anderen Themen kam Obama nicht weiter. Seine Mahnung an China zur Zurückhaltung im Territorialstreit mit seinen Nachbarn zeigte keine Wirkung. Und vor allem ist eine weitere Chance verstrichen, im Syrien-Konflikt den vom Bürgerkrieg gequälten Menschen zu helfen.
Für den Kremlchef war der Gipfel kein Erfolg. Der 63-Jährige kam schon sichtbar müde von einer Wirtschaftskonferenz in Wladiwostok nach Hangzhou. Auch für ihn war der gescheiterte Einigungsversuch in der Syrien-Frage ein Dämpfer. Die USA konnten ihre Forderung zwar nicht durchsetzen, dass die russischen und syrischen Kampfjets Angriffe auf Zivilisten einstellen. Aber so bekam Putin auch nicht das Abkommen über ein gemeinsames Vorgehen in Syrien, mit dem Obama ihn als Partner auf Augenhöhe anerkannt hätte.
Im Ukraine-Konflikt wollte Putin eigentlich die westlichen Partner überzeugen, dass diese Druck auf Kiew aufbauen. Stattdessen forderten Merkel, Hollande und Obama Bewegung von ihm, wenn er ihre Sanktionen loswerden wolle. Erfreulich für den Kremlchef war sein Treffen mit Erdogan: Die über Monate gestörte Freundschaft scheint repariert.
Die neue britische Premierministerin kehrt wohl mit gemischten Gefühlen von ihrem ersten G-20-Gipfel nach London heim. Die Frau, die nun das Votum der Briten zu vertreten hat, das Land aus der Europäischen Union zu führen, bekam durchaus auch die Kühle von EU-Granden und auch US-Präsident Barack Obama zu spüren. Denn solange die Briten noch in der EU sind, müssen sie in deren Verbund verhandeln und dürfen sich keine Extrawürste bei Freihandelsabkommen braten.
Aber wo, wenn nicht bei einem G-20-Gipfel, kann man auch individuelle Wirtschafts- und Finanzinteressen ansprechen? Nicht nur mit den USA, sondern ja auch mit China, Australien, Indien, Brasilien etc. Begeistert waren die G-20-Staaten aber nicht. Jedenfalls heißt es in der der Abschlusserklärung: „Der Ausgang des Referendums über die britische EU-Mitgliedschaft trägt zur Unsicherheit in der globalen Wirtschaft bei.“ Und May gestand die Sorge ein, dass der britischen Wirtschaft schwierige Zeiten drohen.