Devise durchhalten - Merkels Leidensmonat September
Berlin (APA/Reuters) - „Nach der Klatsche ist vor der Klatsche“ - dieser flapsige Spruch eines CDU-Vorstandsmitglieds beschreibt die Stimmun...
Berlin (APA/Reuters) - „Nach der Klatsche ist vor der Klatsche“ - dieser flapsige Spruch eines CDU-Vorstandsmitglieds beschreibt die Stimmung in der CDU nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern am Montag vielleicht am besten. Denn am 18. September droht der CDU bei der Berlin-Wahl erneut, unter die 20-Prozent-Marke und sogar auf den Platz der nur viertstärksten Partei zu fallen.
Und weil dies nach den jüngsten Umfragen auch die allgemeine Erwartung ist, arbeiteten sich die politischen Konkurrenten vor allem an der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und der Frage ihrer Mitverantwortung ab.
AfD-Spitzen wie Alexander Gauland läuteten am Montag bereits das „Ende der Ära Merkel“ ein. Die konservative CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach sagte dem „Tagesspiegel“: „Das Vertrauen der Menschen in die Kanzlerin ist wegen der Flüchtlingspolitik tief erschüttert.“ In der Union fühlen die konservative Kritiker der Kanzlerin wieder Aufwind. Doch so turbulent die öffentliche Debatte um Merkel ist - in der Telefonschaltung des CDU-Bundesvorstands musste sich die von China aus zugeschaltete Kanzlerin keine Kritik anhören. Die dort getroffene Verabredung in der CDU-Spitze lautet vielmehr, genauere Analysen erst einmal auf die Zeit nach der Berlin-Wahl am 18. September zu verschieben.
Das liegt nach Worten von CDU-Generalsekretär Peter Tauber nicht nur am Wahlergebnis im Nordosten, das für alle etablierten Parteien Verluste zulasten der rechtspopulistischen AfD ausweist. Die Aufarbeitung soll lieber zu einem Zeitpunkt kommen, an dem es für die CDU wieder aufwärts gehen könnte - und das ist nach interner Einschätzung erst ab Oktober zu erwarten. Der September gilt parteiintern als „Leidensmonat“, den man mit guten Nerven durchstehen müsse. Denn der erste Jahrestag der Entscheidung, Flüchtlinge aus Budapest aufzunehmen, sorgt für weite Beachtung der Flüchtlingskrise - mit entsprechenden Auswirkungen auch auf die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin.
Merkel will ihre Flüchtlingspolitik auch nach dem Absacken der CDU im Nordosten auf 19 Prozent nicht ändern, auch wenn sie eine Mitverantwortung dafür einräumt, dass die Wähler der Regierung offenbar nicht ausreichend vertrauten. „Ich halte die grundlegenden Entscheidungen in den vergangenen Monaten für richtig“, bekräftigte sie am Montag. Im übrigen seien doch entscheidende Forderungen der CSU längst umgesetzt, sagte Generalsekretär Tauber: Wo es hake wie bei der Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer, seien SPD und Grüne verantwortlich. Die Parole der CDU-Spitze lautet deshalb erst einmal, die Politik künftig „besser zu erklären“ - und um „Vertrauen zu kämpfen“, wie Merkel sagte. Viel Spielraum zu einem Kurswechsel hätte die Kanzlerin ihrer Meinung nach ohnehin nicht. Gerade am Sonntag und Montag hatte sie auf dem G-20-Gipfel in China wieder zu hören bekommen, wie groß das weltweite Flüchtlingsproblem ist und wie sehr dabei auch auf die Verantwortung des größten EU-Staates Deutschland gesetzt wird.
Die Debatte um ihre eigene Zukunft hatte Merkel vorsorglich schon vor der Wahl auf die lange Bank geschoben. Erwartet wird nun in der CDU, dass sie vor dem CDU-Bundesparteitag im Dezember erklären wird, ob sie 2017 ein viertes Mal kandidieren will. Dann, so das Kalkül, sollten sich die Wogen geglättet haben - oder eben nicht. Was erklären könnte, warum sich Merkel Zeit lässt. Sie muss vor einer öffentlich verkündeten Entscheidung Klarheit haben, wie groß ihre Zugkraft für Unionsanhänger noch ist.
Merkel hat zwei strategische Probleme - die beiden Koalitionspartner SPD und CSU. Denn Merkel wird mittlerweile von rechts und links kritisiert, auch SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte das Wort „Obergrenze“ jetzt in den Mund genommen. „Die SPD setzt sich offensiv von Merkel ab - getreu der Devise, irgendwas wird schon hängen bleiben“, sagte Klaus Schröder, Politologe der Freien Universität Berlin, am Montag im Sender N24. Das nutzt zwar nicht der SPD, aber macht nach Ansicht der CDU- und CSU-Spitze die AfD stark und die Union schwächer. Und deshalb wird die AfD in der CDU nicht als Ursache der Krise gesehen, sondern eher als „Folgeproblem“.
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer warf Gabriel deshalb „eine echte Persönlichkeitsspaltung“ vor. Merkel ärgert sich nach Angaben von Vertrauten vor allem, dass Gabriel die Ängste von AfD-Wählern bediene, die deutsche Bevölkerung müsse wegen der Flüchtlinge Einbußen hinnehmen - und das nach dem Füllhorn an Sozialleistungen, das die Große Koalition in dieser Legislaturperiode bereits ausgeschüttet habe. Aber Merkel verkneift sich offene Kritik, weil sie noch eine Weile auf Harmonie in der Großen Koalition hofft.
Aber auch CSU-Hardliner wie der bayerische Finanzminister Markus Söder und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer schossen am Montag wieder Richtung Merkel und forderten erneut eine „Obergrenze“ - was CDU-Generalsekretär Tauber prompt zurückwies. Am Wochenende werden von der CSU-Klausurtagung neue harte Töne erwartet. „Der Streit zwischen CDU und CSU wird bleiben“, meint deshalb FU-Professor Schröder. Und das, darauf haben Meinungsforscher immer wieder hingewiesen, schadet der Union insgesamt. „Wenn bereits am Montag nach einer Wahl der Streit zwischen CSU und CDU wieder losbricht, dann dürfen wir uns nicht über schlechte Wahlergebnisse wundern“, kritisierte deshalb die Bremer CDU-Landesvorsitzende Elisabeth Motschmann gegenüber Reuters.