Das innere Radio eines Forschers
Mit dem Deutschen Enno Poppe haben die Klangspuren heuer einen dirigierenden Composer in Residence gewonnen.
Innsbruck –Das Komponieren ist ein mühsames Geschäft, sagt Enno Poppe, Composer in Residence bei den Klangspuren. Monatelang sei man nur mit sich selbst beschäftigt. Das Dirigieren als ein anderer Entwurf mit Musik umzugehen sei für ihn „lebensnotwendig“, erklärte der in Berlin lebende Sauerländer am Dienstagabend im Klangspuren Café. Er brauche die Schnelligkeit und die geballte Form der Kommunikation beim Dirigieren. „Danach freue ich mich, wenn ich wieder alleine hinter meinen Schreibtisch sitze und in Ruhe nachdenken kann“, so Poppe, der heute Abend mit dem Ensemble Modern Orchestra die Klangspuren eröffnen wird.
Das von ihm 2006 verfasste Orchesterwerk „Keilschrift“ steht am Beginn des Konzertabends, darin verfolgt der vielseitige Künstler „die Idee eines Stückes, das immer aus denselben fünf Noten besteht, immer in derselben Reihenfolge“. Anschließend steht im Silbersaal in Schwaz die Uraufführung von „Blood Beat“ des Osttirolers Bernhard Gander auf dem Programm. Die in Schwaz ebenfalls zur Uraufführung kommende Neufassung des 2009 begonnenen Werkzyklus „Run Time Error“ des Dänen Simon Steen-Andersen mit orchestral „reinstrumentierten“ Videos verspricht zum Abschluss eine schwindelerregende Liveperformance.
Es sei schwieriger, die eigenen Stücke zu dirigieren als die der anderen, erklärt Poppe: „Als Komponist denkt man zu wissen, was man sich vorstellt, aber über die Jahre hinweg habe ich festgestellt, dass die Stücke mehr enthalten, als ich zunächst wusste.“ Es sei ungemein faszinierend, wie verschiedene Musiker seine Stücke auf verschiedene Arten spielen würden. Bei den Werken anderer Komponisten sehe er als Dirigent hingegen weniger Möglichkeiten. Über den Austausch mit und Anregungen von Kollegen wie Bernhard Gander sei er ungemein dankbar.
Musik ist für Poppe Text, den zu lesen er bereits als Elf-, Zwölfjähriger gelernt habe. Mit der Partitur der „Sinfonie aus der Neuen Welt“ – damals sein Lieblingsstück – habe er sich so lange befasst, bis er verstand „wie aus dem Text heraus Klang entsteht“. Heute müsse er keine Aufnahme mehr hören, um zu wissen, wie etwas klinge. Als Komponist könne er jederzeit sein inneres Radio anwerfen, „das ist wie Improvisieren“. Wenn er sich vor ein Notenblatt setze, sei immer schon etwas da – auf der Ebene des Klanges ebenso wie auf der Ebene der Strukturen. „Manchmal lasse ich die Form auf den Klang los. Mich interessiert, Sachen zusammenzubringen, die auf den ersten Blick vielleicht gar nicht zusammenpassen.“ Kunst hat für Poppe sehr viel mit Forschung zu tun, man dürfe die Kunst aber nicht mit der Forschung verwechseln: „Technische Fragen sagen nichts darüber aus, ob ein Kunstwerk interessant ist.“ (sire)