Weißrussland probt vor Wahl Spagat zwischen Russland und Westen
Minsk (APA/dpa) - Zwar sitzt „Europas letzter Diktator“ Alexander Lukaschenko in Weißrussland seit mehr als 20 Jahren fest im Sattel. Bei de...
Minsk (APA/dpa) - Zwar sitzt „Europas letzter Diktator“ Alexander Lukaschenko in Weißrussland seit mehr als 20 Jahren fest im Sattel. Bei der Parlamentswahl an diesem Sonntag (11. September) geht es für den autoritären Dauermachthaber dennoch um wichtige Weichenstellungen für die Zukunft.
Denn seit der Lockerung von EU-Sanktionen 2015 kokettiert Lukaschenko mit dem Westen in der Hoffnung auf Kredite und Investitionen im Gegenzug für mehr Demokratie in dem Staat, der als letzter in Europa die Todesstrafe vollstreckt. Weißrusslands wichtigster Partner Russland beobachtet das Treiben mit Argusaugen.
Auf den Plätzen und Straßen der Hauptstadt Minsk rufen Plakate in den Nationalfarben Grün und Rot die knapp sieben Millionen Wahlberechtigten zur Stimmabgabe. Flaggen flattern im Herbstwind. Doch ansonsten verläuft der Wahlkampf weitgehend geräuschlos. „Die Chancen der Opposition sind minimal, und die Kandidaten wissen das selbst“, sagt ein weißrussischer Journalist.
Mehr als 500 Kandidaten bewerben sich um 110 Mandate im Unterhaus. Im Spiel um die Parlamentssitze geht es weniger um Parteien als um die Bewerber. Seit der Wahl vor vier Jahren stellen mehr als 100 parteilose Politiker die präsidententreue Mehrheit in der Kammer.
Die Opposition ist zersplittert. Manche Gruppen hoffen auf den Einzug ins Parlament als systemnahe Parteien, andere plädieren für Boykott. Nikolai Statkewitsch, ehemaliger politischer Gefangener und einer der Wortführer der Regimegegner, ruft offen zu Protestaktionen auf.
Eine Bewegung um die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Tatjana Korotkewitsch wirbt unter dem Slogan „Sag die Wahrheit“ für eine hohe Wahlbeteiligung. Korotkewitsch galt 2015 als einzige echte Gegnerin von Machthaber Lukaschenko und kam auf gut vier Prozent der Stimmen.
Seitdem ist der 62-jährige Lukaschenko bemüht, den Spagat zwischen dem wichtigsten Verbündeten Russland und dem vor allem wirtschaftlich attraktiven Westen zu üben. Mit friedlichen Wahlen 2015 und der abschließenden Freilassung der politischen Häftlinge hatte er die Voraussetzung geschaffen für die Lockerung von EU-Sanktionen. Der Druck auf Oppositionelle hat Beobachtern zufolge nachgelassen. Zudem präsentiert Lukaschenko Minsk in der Ukraine-Krise seit Jahren als neutrales Feld für Friedensgespräche zwischen den Konfliktparteien.
Lukaschenko gehe es vor allem um Kredite, Investitionen und neue Technologien aus dem Westen, schreibt Wolfgang Sender von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Zwar scheut der Präsident dafür auch nicht die Konfrontation mit Moskau. Spekulationen um die Gründung einer russischen Luftwaffenbasis in Weißrussland wischte er rabiat vom Tisch. Doch verärgern will er den Bruderstaat letztlich auch nicht. Russland und Weißrussland sehen einander traditionell als Partner.
Vor allem ökonomisch pfeift Lukaschenkos Kommandowirtschaft aus dem letzten Loch - Besserung angesichts niedriger Ölpreise kaum in Sicht. Raffiniertes Öl ist eines der bedeutendsten Exportprodukte. Der weißrussische Rubel leidet unter der Abwertung des russischen Rubels zum Dollar und Euro in den vergangenen Jahren. Als Russlands Wirtschaftsleistung 2015 um fast vier Prozent sank, schrumpfte auch die weißrussische um 3,9 Prozent.
Dennoch stützt Russland den Nachbarn mit Milliardenhilfen. „Ohne die massive finanzielle Unterstützung aus Moskau wäre das System Lukaschenko kaum überlebensfähig“, meint Experte Sender. Geld aus der EU wäre eine willkommene Alternative, um die Unabhängigkeit von Moskau zu stärken. Denn auch Russlands Außenpolitik wie etwa die Einverleibung der ukrainischen Halbinsel Krim wird in Minsk nicht nur beklatscht. Doch für mehr Hilfe aus der EU dürfte die Bewertung der Wahl durch internationale Beobachter ausschlaggebend sein.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisiert seit jeher, dass in der Ex-Sowjetrepublik demokratische Standards nicht umgesetzt werden. Seit der Wahl 2015 habe sich nicht viel geändert, heißt es. „Eine bedeutende Zahl der OSZE-Empfehlungen muss noch bearbeitet werden“, berichten die Beobachter im Voraus.