Innenpolitik

Notverordnung gegen Flüchtlinge, Asylstopp lässt viele Fragen offen

Sobald die Asyl-Notverordnung in Kraft ist, sollen die Behörden an den Grenzen keine Asylanträge mehr annehmen.
© APA

Das Innenministerium hat die Sonderverordnung zum Asylgesetz in Begutachtung geschickt. Wie ein Stopp von Asylwerbern an den Grenzen funktionieren soll, ist aber weitgehend ungeklärt.

Von Michael Sprenger und Wolfgang Sablatnig

Wien – Die Regierung bereitet sich darauf vor, das Asylrecht in Österreich de facto außer Kraft zu setzen. Geschehen soll das mit Hilfe einer Verordnung, auf die sich SPÖ und ÖVP am Dienstag nach langer Diskussion geeinigt haben. Länder, Gemeinden, Experten, Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen haben nun bis 5. Oktober Zeit, in der Begutachtung ihre Stellungnahme dazu abzugeben. In vielen Punkten unklar ist allerdings, wie die Verordnung umgesetzt werden soll – etwa die Frage, was mit Menschen geschehen soll, die keinen Asylantrag stellen können. Auch das Innenministerium hat etliche Fragen gestern nicht beantworten können.

Tiroler Grüne sind gegen Asylverschärfung

Innsbruck – Rechtlich haben mögliche Grenzkontrollen und eine Sonderverordnung zur Asylverschärfung nichts miteinander zu tun: faktisch allerdings sehr wohl. Wird nämlich das Grenzmanagement am Brenner wegen zunehmender Flüchtlingsströme aktiviert, muss danach klar sein, wie angesichts der von der Bundesregierung vereinbarten Obergrenze von 37.500 Asylanträgen mit diesen umgegangen wird.

Zum Vorentwurf des Innenministeriums hat die schwarz-grüne Landesregierung im Gegensatz zu anderen Bundesländern in den vergangenen Wochen auf eine Stellungnahme verzichtet. In der Koalition war man sich in dieser Frage nicht einig. Im jetzigen Begutachtungsverfahren will die Landesregierung aber sehr wohl Stellung beziehen, heißt es. Wobei Debatten zwischen ÖVP und Grünen absehbar sind.

Bei allfälligen Grenzkontrollen am Brenner benötige es die Notverordnung für den Vollzug, argumentiert die Volkspartei. Die grüne Flüchtlingsreferentin LR Christine Baur lehnt hingegen eine Asylverschärfung ab. „Das Asylrecht und Obergrenzen schließen sich aus, deshalb bin ich gegen eine Verschärfung“, betont Baur. Angesichts von 9000 leer stehenden Asylunterkünften in Österreich haben sich die grünen Integrationslandesräte von Tirol, Oberösterreich und Salzburg bereits im Juli gegen die Notverordnung ausgesprochen. Sie sehen keinen Notstand. (pn)

1. Was steht in der Verordnung? Der Name ist sperrig: „Verordnung der Bundesregierung zur Feststellung der Gefährdung der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit.“ Es folgen zwei kurze Paragrafen. Im ersten wird festgestellt, dass Ordnung und Sicherheit gefährdet seien. Und im zweiten heißt es, dass die Verordnung sofort in Kraft tritt und für sechs Monate gültig ist. Ausführlicher – neun Seiten lang – sind die Erläuterungen, warum das Funktionieren der staatlichen Strukturen – Sicherheit, Arbeitsmarkt, Schule, Gesundheit – gefährdet wäre.

2. Wofür braucht es die Verordnung? Internationales Recht verbietet es, eine Obergrenze für die Zahl von Asylanträgen festzuschreiben. SPÖ und ÖVP wollen heuer aber nicht mehr als 37.500 neue Anträge zulassen. Also behelfen sie sich mit dem Umweg, per Verordnung den Notstand festzustellen.

3. Wann tritt die Verordnung in Kraft? Laut Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) beim Erreichen der Obergrenze, laut Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) lange davor, laut Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ), wenn die Reichweite in Sicht ist. Tatsächlich also dann, wenn SPÖ und ÖVP sich doch noch einigen. Wenn es so weit ist, müssen Regierung und Hauptausschuss des Nationalrats entsprechende Beschlüsse fassen. Die Verordnung gilt dann sechs Monate mit der Option auf zweimalige Verlängerung. Letztlich hoffen offenbar aber beide Parteien, dass die Obergrenze heuer weder erreicht wird noch überhaupt in Sichtweite kommt.

4. Was ist konkret geplant? Sobald die Verordnung in Kraft ist, nehmen die Behörden an den Grenzen Asylanträge nur noch von Personen an, die hierzulande bereits enge Verwandte haben. Die zweite Möglichkeit – die Bedrohung durch Folter – gilt in Österreichs Nachbarländern als rein theoretischer Fall.

5. Was geschieht mit Menschen, die keinen Antrag stellen können? Das Innenministerium gab auf diese Frage bisher keine klare Antwort. Fest steht, dass Ungarn keine Flüchtlinge aus Österreich zurücknehmen will, wenn sie nicht nachweislich (etwa aus dem Kosovo kommend) in Ungarn erstmals den Schengenraum erreicht haben. Im Innenministerium ist man aber offenbar der Ansicht, für diese Menschen nicht zuständig zu sein, weil sie gar nicht nach Österreich einreisen dürfen. Sie „bleiben im Ausland“, sagte Innenminister Sobotka gestern im Ö1-Morgenjournal.

6. Was ist mit Menschen, die über die grüne Grenze nach Österreich kommen? Sie können einen Antrag stellen, wenn nicht nachweisbar ist, wie sie eingereist sind. Sobald die Verordnung in Kraft ist, wird daher auch die grüne Grenze verstärkt überwacht. Details? Keine Antwort aus dem Innenministerium.

7. Im Jahr 2017 gilt eine geringere Obergrenze von dann 35.000 Anträgen. Beginnt dann auch die Zählung für die Notverordnung neu? „Wenn im Jänner das wieder losgeht, fangen wir wieder bei eins zu zählen an“, sagt Sobotka. Die Verordnung würde dennoch in Kraft bleiben. Diese Interpretation des Innenministers will man aber im Büro von Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ) so nicht gelten lassen. Dies müsse erst noch geklärt werden. Auch im Innenministerium selbst konnte die Frage am Mittwoch noch nicht beantwortet werden.