Juncker-Rede zur Lage der EU im Schatten von Flüchtlingen und Brexit
London/Brüssel (APA) - Die zweite Rede von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Lage der Europäischen Union kommenden Mittwoch in...
London/Brüssel (APA) - Die zweite Rede von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Lage der Europäischen Union kommenden Mittwoch in Straßburg ist von der Flüchtlingskrise und dem Brexit sowie immer mehr Uneinigkeit zwischen den Mitgliedsstaaten überschattet. Ein Jahr nach seiner ersten Rede wird gespannt die Bilanz Junckers sowie der Ausblick samt Schwerpunkten für die Zukunft erwartet.
Vor genau einem Jahr hatte Juncker die Verteilung von 160.000 über Griechenland, Ungarn und Italien eingereisten Flüchtlingen auf die anderen EU-Staaten gefordert und eine Quote für die Staaten vorgelegt. Obwohl die EU-Staaten danach mit qualifizierter Mehrheit diese Verteilung abgesegnet hatten, sind bis heute nur etwas über 7.000 solcher Asylsuchenden in der EU verteilt worden. De facto kann der Plan als gescheitert angesehen werden, da vor allem östliche EU-Staaten die Aufnahme von Flüchtlingen fast kategorisch weiter ablehnen.
Juncker hatte angesichts des Widerwillens der Mitgliedsländer im Oktober vergangenen Jahres erklärt, die EU sei „in keinem guten Zustand“. Auch dass sich danach die Westbalkan-Staaten auf Initiative Österreichs zu einer Schließung der über ihre Territorien führenden Flüchtlingsroute entschlossen, war vom Kommissionspräsidenten mehr oder minder scharf kritisiert worden.
Zu der Enttäuschung über das Verhalten der Staaten kam im Juni dieses Jahres der doch unerwartete Ausgang des Brexit-Referendums in Großbritannien, das nach dem Ausscheiden der Briten die EU auf 27 Staaten reduzieren wird. Einen Schock gab es danach sowohl auf der Insel als auch auf dem europäischen Kontinent. Noch ist nicht klar, wann London konkret den Austrittsknopf drückt und damit dann bis zu zweijährige Verhandlungen über die Zeit nach dem Ausscheiden Großbritanniens offiziell beginnen können.
War im Sommer vergangenen Jahres die Griechenland-Krise zumindest nach jahrelangem Kampf entschärft worden, folgte mit der Flüchtlingskrise und dem EU-Türkei-Deal heuer ein neues Sprengstoff-Thema. Obwohl das Verhältnis der EU zur Türkei immer neue Spannungen hervorrief - zuletzt nach dem gescheiterten Militärputsch in Ankara -, setzt Juncker unbeirrt auf ein gutes Verhältnis zu Ankara. Österreichs Forderung nach einem Ende der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei blieben in der EU offiziell eine Einzelmeinung, obwohl de facto zahlreiche Länder sich die Türkei keineswegs als EU-Mitglied vorstellen können.
Mit Spannung wird angesichts dieser Entwicklungen die Beschreibung der EU durch Juncker erwartet. Vor einem Jahr hatte der Kommissionspräsident erklärt, es sei „nicht die Stunde der hohlen Reden - es ist die Stunde der Ehrlichkeit in Europa gekommen.“ Er tendiere zwar „nicht zu Pessimismus, aber die EU befindet sich in keinem guten Zustand. Schönmalerei macht keinen Sinn. Es fehlt der EU an Europa und es fehlt der EU an Union.“
Ob es konkrete Maßnahmen in diversen Bereichen geben soll, ist offen. In Gerüchten ist von einer Verdoppelung des nach Juncker selbst benannten Investitionsfonds, ein neues Leistungsschutzrecht oder eine Neubewertung des Stabilitäts- und Wachstumspakts die Rede. Jedenfalls wird die Rede Junckers auch beim zweiten Schwerpunkt der kommenden Woche - dem informellen Gipfel der 27 EU-Staats- und Regierungschefs in Bratislava am Freitag ohne Beteiligung der britischen Premierministerin Theresa May - zur Sprache kommen.