Julian Schutting denkt zurück an damals: „Zersplittertes Erinnern“
Wien (APA) - Julian Schutting beschwört in seinem neuen Prosabändchen „Zersplittertes Erinnern“ seine Kindheit in Amstetten und die Jugendja...
Wien (APA) - Julian Schutting beschwört in seinem neuen Prosabändchen „Zersplittertes Erinnern“ seine Kindheit in Amstetten und die Jugendjahre in Wien herauf. Es sind die prägenden Kriegs- und Nachkriegsjahre. Es geht ihm dabei nicht um eine grüblerische Rekapitulation und schon gar nicht um eine Abrechnung, also um keine Recherche etwa zur Frage: Wie war das denn damals in meiner Heimatstadt in der Nazizeit?
Der Autor spielt vielmehr seine große Qualität eines scharfen Beobachters aus. Viele Details kommen an den Tag, so dass der Eindruck entsteht, er habe schon in der Wiege Tagebuch geführt. Einer der frühesten Eindrücke, heißt es, mag 1938 gewesen sein, als die Deutsche Wehrmacht in Sachen „Anschluss“ beim Passieren der Stadt Amstetten Richtung Wien unterwegs war und er als Baby den Soldaten entgegengestreckt wurde. Julian Schutting ist Jahrgang 1937 - also war das sehr, sehr früh. Die Impressionen werden aus der Sicht des Kindes wiedergegeben, aber späteres Wissen bleibt nicht völlig ausgespart. Die Verschränkung der beiden Sichtweisen macht einen besonderen Reiz aus.
Der Ausdruck „Zersplittertes“ ist absolut zutreffend, denn das Ziel des Erzählens ist die Wiedergabe von Impressionen und nicht eine große Autobiografie. Darüber wird sich vor allem jene Gruppe unter der Leserschaft freuen, die ein ungefähr vergleichbares Alter wie der Autor hat, weil es garantiert zum wiederholten Ausruf kommen wird: „Ja, genauso war es!“
So war es, das kleinbürgerliche Leben in einer kleinen Stadt während der Kriegszeit. Die Mutter passt sich nicht ganz den biederen Verhältnissen an. Sparsam wird gelebt, wenn auch nicht ärmlich. Dass Krieg herrscht, ist vor allem dem Radio und dessen „Sondermeldungen“ und den Berichten der „Feindsender“ zu entnehmen. Es erstaunt, wie viel Normalität in dieser Zeit möglich gewesen ist.
Das änderte sich erst gegen Kriegsende, als es einen spektakulären Zwischenfall mit KZ-Häftlingen gab und die Russen näher rückten. Neugier ist der Tenor der plastisch haften gebliebenen Eindrücke (Gesehenes, Gehörtes, Gefühltes, Gerochenes). Dann Wien, wo Schutting vor dem Besuch der Universität an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt eine Ausbildung in Fotografie bekam. Wien zur Zeit der Besatzung erscheint als eine Stadt grau in grau. Und so sah es dort ja auch lange aus. Farbe und ein bisschen Aufregung bringen die Opernaufführungen im Theater an der Wien mit Ljuba Welitsch als angehimmeltem Star.
Julia Schutting schreibt keine langweilige Prosa, sondern frönt einem individuellen Stil, der das Mitgeteilte oft knapp zusammendrängt und abschnittweise in einen ansprechenden Rhythmus versetzt. Persönliche Eigenheiten spielen eine große Rolle. Sie brauchen nicht gleich als Willkürmätzchen geschmäht werden, sondern können auch als apart, im Dienst der Poesie hingenommen werden.
(S E R V I C E - Julian Schutting: „Zersplittertes Erinnern“, Jung und Jung, 88 Seiten, 18 Euro.)