Nick Cave: Von Trauma und Stimmlosigkeit
Nick Cave versucht auf seinem neuen Album „Skeleton Tree“ und im Begleitfilm, den Unfalltod seines Sohnes zu verarbeiten.
Von Silvana Resch
Innsbruck –Sein altes Ich gebe es nicht mehr, sagt Nick Cave, er ist sich selbst zum Fremden geworden. In dem Dokumentarfilm „One More Time With Feeling“, der vergangene Woche zur Veröffentlichung seines neuen Albums „Skeleton Tree“ gezeigt wurde, verwendet er häufig das Wort „Trauma“. Für das, was passiert ist, gibt es keine Worte. Um die Frage, ob und welche Kunst es nach einer solchen Tragödie geben kann, dreht sich der in 3D und Schwarzweiß gedrehte Film von Regisseur Andrew Dominik. In wunderschön montierten Sequenzen wird die Kluft, die sich zwischen Leben, Kunst und Inszenierung auftut, verhandelt. Allzu hartnäckig insistiert wird jedoch in den Interviews – auch wenn sich alle Beteiligten der Fallstricke bewusst sind. Der Abgrund, in den Nick Caves Sohn Arthur stürzte, reißt letztlich auch die filmischen Versuche, die Intimsphäre der Verbliebenen nicht zu verletzen, mit in die Tiefe. Dass das eigentliche Drama in den Gesprächen rücksichtsvoll umschifft wird, macht da keinen Unterschied.
Der 15-Jährige war vergangenes Jahr im Juli im LSD-Rausch von den Kreideklippen bei Brighton gefallen, wo die Familie lebt. Nick Cave, Poet der Düsternis und des Verlustes, steht unter Schock – und er ringt um Kontrolle. Die im Schneideraum hinzugefügte Audiospur mit den von ihm gesprochenen Gedanken und Gedichten scheint ihm diese ein Stück weit zurückzugeben. „Ich glaube, ich verliere meine Stimme“, sagt er, als er seinen Part nochmals einsingen soll.
Die private Katastrophe passierte während der Aufnahmen zu „Skeleton Tree“, das Making-of, das zu Promotionszwecken zeitgleich im Entstehen war, soll nun etwaige Fragen beantworten. Er wisse nicht, „wem und wie er sich verständlich machen soll, aber er will es“, erklärte Regisseur Andrew Dominik das Vorhaben.
Die wenig zartfühlende britische Presse hatte die Tragödie im vergangenen Jahr genüsslich ausgebreitet. Bilder von der noch intakten Familie – Mutter Susie Bick, ehemaliges britisches Topmodel, und die beiden Zwillingssöhne Arthur und Earl – wurden herausgekramt und dem Obduktionsbericht gegenübergestellt.
Für sein Familienglück hatte Nick Cave einst dem Heroin abgeschworen, die Angst vor einem möglichen Verlust hatte er in dem heuer auf Deutsch erschienenen Buch „The Sick Bag Song“ thematisiert. Auf Flugzeug-Kotzbeuteln kritzelte er düstere Poesie auf Überlandflügen. Dunkle Vorahnungen, wie es heute scheint.
Das Album ist verstörende, fragmentarische Trauerarbeit. „You fell from the sky, crash-landed in a field near the river Adur“ heißt es im bedrohlich an- und abschwellenden Klagelied „Jesus Alone“, das „Skeleton Tree“ eröffnet. Nick Cave, der große Geschichtenerzähler, der sich in seinen Brightoner Jahren immer mehr vom Alten Testament abgewandt hatte, glaubt nicht mehr an das Geschichtenerzählen. Die Songtexte hätten einst alles zusammengehalten, seit Arthurs Tod gibt es für ihn kein passendes Narrativ mehr.
Der totalen Verunsicherung entspricht das teils unfertig wirkende Album „Skeleton Tree“. Einzig die Stimme der dänischen Sopranistin Else Torp, die sich im sakralen „Distant Sky“ zum Duett einfindet, mag manche Fans befremden. Das brüchige „I Need You“ berührt in seiner schlichten Verletztheit. „Nothing really matters when the one you love is gone“, heißt es da. Viel mehr gäbe es eigentlich nicht zu sagen.