Kataloniens Regierung will Mitte 2017 die Unabhängigkeit ausrufen
Barcelona/Madrid (APA) - Am Sonntag haben Kataloniens Separatisten erneut Stärke gezeigt. Anlässlich des katalanischen Nationalfeiertags („D...
Barcelona/Madrid (APA) - Am Sonntag haben Kataloniens Separatisten erneut Stärke gezeigt. Anlässlich des katalanischen Nationalfeiertags („Diada“) demonstrierten mehrere Hunderttausend Menschen in fünf verschiedenen Städten Kataloniens für die Unabhängigkeit von Spaniens wirtschaftsstärkster Region. Diese soll nachdem Willen der separatistischen Regierung schon Mitte 2017 proklamiert werden.
Nach Schätzungen der Polizei nahmen rund 800.000 Personen teil. Alleine in Barcelona füllten bis zu 540.000 Menschen den zwei Kilometer langen Paseo de Sant Joan und den Paseo de Lluis Companys. In den vergangenen vier Jahren waren es aber noch regelmäßig an die 1,5 Millionen gewesen. Seit vielen Jahren protestieren die Katalanen am 11. September für ihr Recht auf Selbstbestimmung.
Jordi Sanchez ist dennoch zufrieden. „Entgegen vieler Erwartungen haben wir es erneut geschafft, die Straßen zu füllen. Sie wollen uns zum Schweigen bringen. Das werden sie aber nicht schaffen. Nicht, wenn wir wie heute geeint für unser Recht auf Selbstbestimmung pochen“, versicherte der Vorsitzende der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) am Sonntag vor einer begeisterten Menge und einem Meer aus Esteladas, der rot-gelb gestreiften Unabhängigkeitsflagge mit dem blauen Dreieck und einem weißem Stern. Die separatistische Bürgerplattform ANC organisiert bereits zum fünften Mal die Unabhängigkeitsdemos am Nationalfeiertag.
Mit „sie“ meint Sanchez die spanische Zentralregierung vom mittlerweile seit neun Monaten nur noch geschäftsführenden konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy (PP). Rajoy ist ein vehementer Verfechter der spanischen Einheit und kann mit der Verfassung argumentieren. Diese bezeichnet die Einheit des Landes als unantastbar und verbietet jegliche, vor allem wie in Katalonien einseitig geplante Loslösungsprozesse.
„Es bedarf allerdings nur politischen Willens und demokratischen Fairplays wie in Schottland, um die Verfassung zu ändern und den Katalanen zumindest das Recht zugeben, ihren Wunsch äußern zu können“, erklärt ANC-Vorsitzender Sanchez der APA mit Blick auf das von London im Jahr 2014 zugelassene schottische Unabhängigkeitsreferendum.
Doch die Madrider Zentralregierung hat diesen politischen Willen nicht. Mehr noch: Politische Gespräche über die Unabhängigkeit führt Rajoy erst gar nicht, sondern antwortet mit Klagen vor dem Verfassungsgericht. So zuletzt Anfang August, als die Regierung über die juristischen Wege den Beschluss des katalanischen Regionalparlament aufheben ließ, eine „einseitige Abspaltung“ fortzusetzen.
Die Verfassungsrichter drohten vor allem der Parlamentspräsidentin und ehemaligen ANC-Vorsitzenden Carme Forcadell mit Amtsenthebung und strafrechtlichen Maßnahmen, sollte sie diesen Prozess im Parlament vorantreiben. Bereits im November 2014 verhinderte die Madrider Zentralregierung ebenfalls mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht die Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums.
Das Vorgehen zeigt Wirkung. „Obwohl der Wunsch vieler Katalanen nach Unabhängigkeit noch sehr groß ist, zeigen die rückläufigen Teilnehmerzahlen an den Unabhängigkeitsdemonstrationen am Sonntag eine gewisse Ermüdung und Ernüchterung bei vielen Menschen“, erklärt Joan Botella, Politologe an der Universität von Barcelona, im APA-Gespräch.
Kataloniens separatistischer Ministerpräsident Carles Puigdemont lässt sich aber nicht beirren, will den Loslösungsprozess vorantreiben. Er werde alles unternehmen, um den „Traum von einer katalanischen Republik“ zu ermöglichen, versicherte Puigdemont auf dem Protestmarsch in der Kleinstadt Salt. Wie die anderen Demonstranten trug auch er ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Wir sind bereit“ - dem Motto der diesjährigen Kundgebung.
Bereits Mitte nächsten Jahres sollen Wahlen das Land in die Unabhängigkeit führen, so Puigdemont. Ob die Rechnung aufgeht, ist allerdings fraglich. Die Unabhängigkeitsbefürworter, eine ideologisch äußerst heterogene Mehr-Parteien-Allianz - regieren seit den Regionalwahlen 2015 zwar mit einer Parlamentsmehrheit. Laut Umfragen sind die 7,5 Millionen Katalanen aber keineswegs mehrheitlich für die Abspaltung. Nicht einmal die Hälfte der Einwohner dürfte für die Loslösung stimmen.
Auch mit dem Zeitplan bis Mitte 2017 könnte es eng werden. Denn um Gespräche und Verhandlungen mit Madrid führen zu können, bedarf es einer funktionierenden Regierung. Doch seit den spanischen Parlamentswahlen im Dezember 2015 konnte keine Partei eine ausreichende Mehrheit hinter sich bringen. Auch Neuwahlen im Juni konnten die politische Blockade nicht lösen. In ihrer Ablehnung der Unabhängigkeit Kataloniens sind die großen politischen Kräfte in Madrid freilich geeint: Die oppositionellen Sozialisten sind ebenso kategorisch gegen eine Loslösung der wirtschaftsstarken Region wie Rajoys Konservative.