Eine Erkrankung als PR-Desaster
Plötzlich rätselt Amerika, ob Hillary Clinton dem Wahlkampf und der Präsidentschaft gewachsen ist.
Von Floo Weißmann
Washington — Die Dynamik im US-Wahlkampf hat sich gedreht. Plötzlich steht die angeschlagene Gesundheit der Favoritin Hillary Clinton im Zentrum der Debatte. Schlimmer noch: Das Informationsmanagement ihrer Kampagne verstärkt das Narrativ, die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten sei nicht vertrauenswürdig und habe etwas zu verbergen.
1. Was ist passiert? — Clinton verließ am Sonntag vorzeitig die 9/11-Gedenkveranstaltung in New York und ruhte sich in der nahen Wohnung ihrer Tochter Chelsea aus. 90 Minuten später zeigte sie sich lachend und winkend auf der Straße. Zunächst war von einem Schwächeanfall wegen Hitze und Dehydrierung die Rede. Doch dann machte ein Video die Runde, das zeigt, wie Clinton beim Einsteigen in ihren Van beinahe kollabiert. Und am Abend teilte ihre Ärztin mit, bei Clinton sei bereits am Freitag eine Lungenentzündung diagnostiziert worden. Sie werde mit Antibiotika behandelt.
2. Das Informationsdesaster. — US-Medien bohren jetzt nach: Warum hat Clinton ihren Husten, der sie seit mehr als einer Woche bei Auftritten plagte, als harmlose Allergie abgetan? Warum erfuhr das Land nicht eher von der Lungenentzündung? Wie konnte Clinton nach dieser Diagnose zwei Spendengalas, eine Sitzung, eine Pressekonferenz und ein Interview absolvieren? Und wie kann eine, die Präsidentin werden will, ohne Erklärung verschwinden und die Nation einen Tag lang im Unklaren lassen?
3. Was sind die Folgen für den Wahlkampf? — Clinton muss zunächst einmal einen Gang zurückschalten, und sowohl ihre Gesundheit als auch ihre Informationspolitik werden Thema bleiben. Ihre Gegner verbreiten im Internet bereits das Gerücht, Clinton sei todkrank. Politik-Insider rätseln indessen, wen die Demokraten als Ersatz ins Rennen schicken, sollte Clinton aufgeben müssen. Als heißester Tipp gilt derzeit Vizepräsident Joe Biden. Das alles ist ein Desaster für Clinton, die seit Jahren versucht, keine Schwäche zu zeigen.
4. Schadensbegrenzung. — Das Clinton-Lager spielt die Sache herunter: In einem langen und harten Wahlkampf werde jeder einmal krank und man müsse ja wohl nicht jede Erkältung verlautbaren. Überhaupt sei Clinton nun einmal eine Kämpferin. Nicht ausgeschlossen ist auch ein Mitleidseffekt. Manche Kommentatoren verweisen auch darauf, dass bei Clinton und ihrem republikanischen Gegner Donald Trump mit zweierlei Maß gemessen wird. Von ihr wird mehr Seriosität und Verantwortungsgefühl erwartet, während der schillernde Rechtspopulist mit Lügen und Indizien für mögliche Korruption durchkommt.
5. Wie reagiert Trump? — Der Republikaner versucht schon seit Langem, Clinton krank zu reden — allerdings ohne jeden Beleg. Jetzt, wo sie tatsächlich erkrankt ist, zeigt er sich milde und mitfühlend und lässt die Schlagzeilen für sich arbeiten. „Ich hoffe, dass es ihr bald besser geht", sagte er auf Fox. „Aber was auch immer passiert, ich bin bereit."
6. Der gläserne Kandidat. — Sowohl auf Clinton als auch auf Trump steigt nun der Druck, ihre Gesundheitsakte offenzulegen. Mit 68 bzw. 70 Jahren gehören sie zu den Ältesten, die sich jemals um das Weiße Haus beworben haben. Erste Kommentatoren schlagen bereits vor, unabhängige Mediziner sollten alle Kandidaten durchchecken.
7. Wie stehen die Umfragen? — Bis zum Wochenende lag Clinton trotz zuletzt sinkender Umfragewerte noch klar voran. Alleine mit jenen Bundesstaaten, in denen sie einen komfortablen Vorsprung hatte, kam sie auf eine Mehrheit der Wahlmänner. Zudem lag sie in einigen umkämpften Bundesstaaten knapp in Führung (in der Grafik grau). Beobachter warten jetzt gespannt, ob Clintons Gesundheit in den nächsten Tagen auf die politische Landkarte abfärbt.