Der Sturm vor der erhofften Ruhe in Syrien
Damaskus (APA/dpa) - Zum Beginn des muslimischen Opferfestes sollen in Syrien die Waffen schweigen. In Feiertagsstimmung ist jedoch niemand....
Damaskus (APA/dpa) - Zum Beginn des muslimischen Opferfestes sollen in Syrien die Waffen schweigen. In Feiertagsstimmung ist jedoch niemand. Die Menschen sind schon zu oft enttäuscht worden.
Für die Regierungsgegner in Syrien musste der Auftritt wie Hohn wirken: Kaum zwei Wochen nachdem die Rebellen den jahrelang umkämpften Damaszener Vorort Daraya aufgegeben und die Trümmerlandschaft dem Regime überlassen hatten, zeigte sich Machthaber Bashar al-Assad beim öffentlichen Gebet mitten in der Stadt. Akkurat im grauen Anzug zelebrierte er den Beginn des muslimischen Opferfestes, während Kampfflugzeuge in vielen Teilen des Landes Angriffe flogen. Von der anstehenden Waffenruhe war zunächst nichts zu spüren.
„Die Waffenruhe ist doch ein Witz“, sagt Raed, der mit seinen drei Kindern im Ostteil der nordsyrischen Metropole Aleppo lebt. „In der Vergangenheit hat das Regime solche Ankündigungen immer nur genutzt, um Gebiete zu erobern und uns zu bombardieren.“ Ihm ist nicht nach feiern zumute, auch wenn das Opferfest, das Eid al-Adha, der höchste islamische Feiertag ist. „Ich habe meinen Kindern gesagt, dass es in diesem Jahr keine neue Kleidung gibt. Wir müssen das Geld sparen, um Essen zu kaufen.“
Die Straßen in Städten wie Aleppo oder Idlib sind leer. Die Menschen bleiben in den Häusern. Kampfflugzeuge donnern über graue Häuser und Ruinenfelder hinweg, berichten Bewohner. „In Eid-Stimmung ist hier niemand“, sagt Ibrahim al-Haj von der lokalen Hilfsorganisation Weißhelme in Aleppo. „Die Menschen leben von Tag zu Tag. Sie fürchten eher, dass es noch schlimmer wird.“
Kurz vor Beginn der angekündigten Waffenruhe nahmen die Luftangriffe noch einmal massiv zu. Kaum hatten US-Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow am Samstag den Plan zur Waffenruhe verkündet, fielen wieder Bomben. Allein am vergangenen Wochenende starben mehr als 100 Zivilisten bei Luftangriffen.
In einem Schreiben an den US-Sondergesandten für Syrien, Michael Ratney, forderten einige bewaffnete Rebellengruppen „Garantien“ für die Einhaltung der Waffenruhe. Grundsätzlich aber äußerten sie sich positiv zu dem Deal. Die einflussreiche islamistische Miliz Ahrar al-Sham lehnte die Abmachung in einer Videobotschaft ab.
Die Situation in Syrien bleibt also weiterhin äußerst fragil. Die kleinste Verletzung der Waffenruhe könnte zu einem Scheitern der gesamten Absprachen führen und weitere Friedensverhandlungen in schier unerreichbare Ferne treiben.
Noch zeigen sich die verschiedenen Konfliktparteien militärisch und verbal kein Stückchen zurückhaltend. Auch Syriens Präsident Assad nutzte seinen öffentlichen Auftritt zum Opferfest, um zu betonen, dass seine Truppen alle Gebiete Syriens zurück unter ihre Kontrolle bringen werden. „Die Streitkräfte machen ohne zu zögern und unabhängig aller inneren und äußeren Bedingungen weiter, die Sicherheit in allen Gebieten Syriens wiederherzustellen.“
Kurzzeitig könnte die Waffenruhe der notleidenden Bevölkerung aber zumindest ein wenig Erholung zu den Feiertagen bringen und die Versorgung mit dringend benötigten Hilfsgütern ermöglichen.
Ein Ende der Kämpfe ist aber noch lange nicht in Sicht, lediglich eine Reduzierung der Gewalt. Denn zu viele Akteure sind inzwischen in dem Konflikt involviert. Die Frontlinien wogen ständig hin und her. Auch weil, wie es der amerikanische Nahost-Forscher Michael Stephens sagt, „kein Akteur bereit ist, so viel Blut und Mittel einzusetzen, damit seine Stellvertreter auf dem Schlachtfeld den Krieg wirklich gewinnen“.