Russland-Wahl - Wahlkampf in Moskau: Nur keine Kritik an Putin

Moskau (APA) - Russland wählt am Sonntag ein neues Parlament. Am Sieg der Kreml-Partei Geeintes Russland besteht kein Zweifel. Mehr noch, di...

Moskau (APA) - Russland wählt am Sonntag ein neues Parlament. Am Sieg der Kreml-Partei Geeintes Russland besteht kein Zweifel. Mehr noch, die Oppositionsparteien halten sich demonstrativ mit Kritik am populären Präsidenten Wladimir Putin zurück, um ihre Wahlchancen nicht zu gefährden.

Vergangene Woche auf der Moskauer Buchmesse: Im Radius von 20 Meter agitieren die Chefs von gleich drei Oppositionsparteien, die schon bisher in Russlands Staatsduma vertreten sind: Sergej Mironow präsentiert am Stand seiner quasi-sozialdemokratischen Partei Gerechtes Russland die Neuauflage einer Sergej Mironow-Biografie und gegenüber bereitet sich der legendäre Rechtspopulist Wladimir Schirinowski am Stand seiner Liberal-demokratischen Partei Russlands auf einen Liveeinstieg im Staatsfernsehen vor, in dem er zur Lektüre seiner programmatischen Schriften auffordert.

Genau in der Mitte steht Kommunist Gennadi Sjuganow am Stand des traditionsreichen Verlags „Junge Garde“. „Meine zentralen Werke ‚Vorwärts gehen‘ und ‚Stalin und Heute‘ sind hier erschienen“, spricht der seit 23 Jahren amtierende Chef der „Kommunistischen Partei der Russischen Föderation“ in eine Fernsehkamera.

Die Kommunisten hätten alle Chancen, ihr Resultat ernsthaft zu verbessern, erklärt Sjuganow anschließend gegenüber der APA. Schwierig sei es nur in den Einmandatswahlkreisen. „Die regierende Partei sitzt an den Hebeln - sie hat die Polizei, Wahlkommissionen, Geld und fast die gesamte Zeit im Fernsehen“, klagt der Kommunist. Mit den aktuellen Dumawahlen kehrt Russland zu einem Mischsystem zurück - 225 Parlamentssitze werden proportional zum landesweiten Parteiergebnis vergeben, weitere 225 in Einmandatswahlkreisen bestimmt, in denen der künftige Mandatar jeweils mit relativer Mehrheit gewählt werden muss.

Schwierig hat es etwa Waleri Raschkin. Der Vorsitzende der Moskauer KP und mögliche Nachfolger Sjuganows kämpft im Wahlkreis 199 gegen Fernsehmoderator und Neopolitiker Pjotr Tolstoj, der für die Kreml-Partei „Geeintes Russland“ antritt. Vergangenen Donnerstagabend lud Raschkin seinen Opponenten zu einer Debatte in einen Park in Moskaus Südosten - vergeblich. Tolstoj kam einfach nicht.

Umringt von Anhängern, die strömendem Regen trotzten, beklagte sich Raschkin über das Fernbleiben seines Gegners und redete sich in Rage: „Das Volk hat genug von der Politik von Geeintes Russland und der liberalen Regierung von Medwedew und seinen Clique“, schrie er in sein Mikrofon. Präsident Putin wurde nicht erwähnt. Anschließend beantworte er ein paar Fragen aus Publikum. Eine kritische Frage zu Milliardären in der kommunistischen Partei überhörte er.

Raschkins Widersacher Tolstoj dufte sich indes am Samstag ein wenig über sogenannte administrative Ressourcen freuen. Die Stadtregierung Moskau hatte den Stadtfeiertag erstmals vom ersten auf das zweite Septemberwochenende und somit unmittelbar vor die Dumawahlen verschoben. Während Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin, in der Hauptstadt Spitzenkandidat von „Geeintes Russland“, mit Präsident Wladimir Putin eine neue U-Bahn-Linie einweihen konnte, eröffnete der Ururenkel des berühmten Schriftstellers Lew Tolstoj einen Kriegshelden-Park. Politiker anderer Parteien fehlten, als der Noch-Nicht-Mandatar als Ehrengast das rote Bändchen durchschneiden durfte.

Bevor Tolstoj zu einem weiteren Termin in einer benachbarten Schule aufbrechen sollte, gab es vor laufenden Fernsehkameras schließlich noch gemeinsame Fotos mit Anhängern. Der Kandidat, der keine Möglichkeit auslässt, seinen Patriotismus zu unterstreichen, ließ sich passend zu seinem Profil mit einem junger Mann in der Uniform der berüchtigten pro-russischen „Batman“-Miliz aus der Ostukraine ablichten, der selbst von Vertretern der Rebellen schwerste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.

Völlig anders positioniert sich hingegen Galina Chowanskaja, eines der bekanntesten Gesichter von Gerechtes Russland. Zum Treffen in einer Schule im Norden Moskaus kamen etwa 25 Interessierte, insbesondere Frauen der älteren Generation. Die langjährige Dumaabgeordnete konzentrierte sich in ihrem Auftritt auf soziale Fragen des Wohnens, wettert im Zusammenhang mit Abgabenerhöhungen gegen Geeintes Russland. Kritik an Präsident Wladimir Putin bleibt aber auch auch hier völlig aus. Im Gegenteil - Chowanskaja stellt den Präsidenten und dessen Präsidentschaftskanzlei als wichtige Verbündete im Kampf gegen eine unsoziale Politik der Regierung dar. Unerwähnt bleibt auch hier, dass diese Regierung von Putin selbst ins Amt gehievt wurde.

Kurz bevor die Politikerin abtrat, erlaubte sie sich schließlich noch eine Spitze gegen die linksliberale Jabloko-Partei, die teils eine ähnliche Wählerschicht wie „Gerechtes Russland“ anspricht. „Jabloko will die Krim zurückgeben. Wenn Sie das wollen, stimmen Sie für diese Partei!“, sagte sie. Die Reaktion im Saal fiel lau aus, wirklich punkten kann Chowanskaja mit nationalistischen Tönen nicht.

Chowanskajas ehemaliger Parteikollege Dmitri Gudkow, der dieses Mal für Jabloko kandidiert und von bekannten liberalen Intellektuellen unterstützt wird, kämpft indes im Nordwesten Moskaus um jede Stimme. Auf einem Gehsteig spricht er vor einem eher jungen Publikum und verweist auf seine Rolle als einziger oppositioneller Dumaabgeordneter der ausklingenden Legislaturperiode. „Wir wollen das in der nächsten Duma zumindest eine unabhängige Fraktion vertreten ist, die die herrschende ‚Gegenaufklärung‘ im Parlament stoppt“, sagt der 36-Jährige.

Dabei liefert sich Gudkow einen Schlagabtausch mit dem Kamerateam des staatlichen Fernsehens. „Sie werden im Fernsehen erzählen, dass heute nur drei Besucher hier waren“, erklärte er. Tatsächlich waren es rund 30 Wähler auf Klappsesseln, während Hunderte Passanten an der Kundgebung vorbeizogen. Trotz eines engagierten Wahlkampfes geben Meinungsumfragen dem Oppositionellen im Einerwahlkreis nur Außenseiterchancen. Um landesweit Mandate zu bekommen, müsste Jabloko fünf Prozent der Stimmen erreichen, was alles andere als sicher ist.