Eine Reise wert? - Klaus Nüchtern durchquert den „Kontinent Doderer“

Wien (APA) - Der 50. Todestag Heimito von Doderers am 23. Dezember wird im Buchhandels-Weihnachtsgeschäft nicht ohne Niederschlag bleiben. N...

Wien (APA) - Der 50. Todestag Heimito von Doderers am 23. Dezember wird im Buchhandels-Weihnachtsgeschäft nicht ohne Niederschlag bleiben. Nach Eva Menasse hat nun auch Klaus Nüchtern eine Publikation vorgelegt, die dem einst Vielgepriesenen wieder mehr Leser bescheren möchte. „Kontinent Doderer - Eine Durchquerung“ lautet der kenntnisreiche literarische Reisebericht des langjährigen „Falter“-Feuilletonchefs.

Nüchtern hat sieben Essays zu Werkaspekten Doderers aneinandergefügt und mit einem „Who‘s Who“ ausgesuchter Figuren der Romane „Die Strudlhofstiege“ und „Die Dämonen“ ergänzt. Das ergibt interessante Einblicke und Perspektiven, vor allem aber viele Belege für die intensive Beschäftigung des Literaturkritik-Staatspreisträgers von 2011 mit dem heute ein wenig in Vergessenheit geratenen Literaturstar der 1950er und 60er-Jahre. Die Durchquerung des „Kontinent Doderer“ als abwechslungsreich und abenteuerlich darzustellen, gelingt ihm dabei gewiss, und Wegmarken zur Orientierung bringt er einige an. Warum man allerdings überhaupt aufbrechen soll, dafür liefert Nüchtern trotz seiner staunenswerten Kenntnisse erstaunlich wenig Anreiz.

„Verpasst man etwas, wenn man Doderer auslässt? Na keine Frage! Und darauf hinzuweisen ist auch das eigentliche Anliegen dieses Buches“, schreibt Nüchtern in seinem Vorwort. Diesen Eindruck hat man als unbefangener Leser nach 350 Seiten (inklusive Fußnoten) freilich nicht notwendigerweise gewonnen. Den mehrfach versprochenen „immens komischen Autor“ lernt man bei dieser Reise ebenso wenig kennen wie den eigenwilligen Sprachvirtuosen oder „einen der größten Großstadtromanciers des 20. Jahrhunderts (mindestens)“.

Die Schlaglichter, die Nüchtern auf Leben und Schreiben des „Spätzünders“ (so „Der Spiegel“ 1957 in einer Coverstory über den 1896 geborenen Wiener Romancier) wirft, erhellen dafür so manche interessanten Aspekte - von den offenbar irritierend idyllischen Zuständen seiner Kriegsgefangenschaft in Sibirien bis zur Verwandtschaft mancher Motive zwischen Doderer und Hitchcock, von der typisch österreichische Karriere („Von der NSDAP zum Triple-A“) bis zum freien Umgang mit historischen Tatsachen rund um den Justizpalastbrand 1927.

Mitunter mit großem Vergnügen dem Stil Doderer nacheifernd, beschäftigt sich Nüchtern von „Ein Mord den jeder begeht“ über „Die Strudlhofstiege“ und „Die Dämonen“ bis zu „Die Wasserfälle von Slunj“ und „Die Merowinger“ mit allen Hauptwerken Doderers. Dabei werden Skurrilitäten und Eigenwilligkeiten ausgebreitet und bestaunt, ihr literarischer Wert bleibt jedoch unbeglaubigt. Letztlich verfestigt sich eher der Eindruck eines sturen literarischen Kauzes, der sich um nichts scherte als um sein eigenes Ego, der seine eigenen Pläne mit militärischer Genauigkeit entwarf und mit größter Nonchalance ausführte.

Das mag einem sympathisch erscheinen oder nicht. Nüchterns Vergleich Doderers mit Dante, Dickens oder Dostojewskij scheint jedoch völlig abwegig. Gerade nach dieser „Durchquerung“ hinterlässt dieser „Kontinent“ eher den Eindruck eines zwar mit origineller Topographie ausgestatteten, doch eher bescheiden dimensionierten Eilandes. Und dass das spezifisch Österreichische heutzutage wieder so gefragt ist wie schon Jahrzehnte nicht, bereitet einem - mit Verlaub gesagt - doch ein klein Wenig Unbehagen.

(S E R V I C E - Klaus Nüchtern: „Kontinent Doderer - Eine Durchquerung“, C.H.Beck, 352 S., 28,70 Euro)