Ein maximales Leben mit dem Mindesten
Über die Mindestsicherung wird viel diskutiert. Doch wer kennt die Bezieher? Oder weiß, wie sie über die Runden kommen? Sonja Marnissi über das Mindeste in ihrem Leben.
Von Michaela S. Paulmichl
Landeck –Der Laborkasten für den Biologieunterricht um rund 50 Euro wäre fast zum unüberwindbaren Problem geworden. Und immer sind es auch die Schuhe. Die Füße von Kindern oder Jugendlichen im Wachstum nehmen keine Rücksicht darauf, dass 300 Euro im Monat gerade einmal für Lebensmittel, Hygieneartikel, Wasch- und Putzmittel reichen – wenn man sehr sparsam ist. „Kleidung oder die Teilhabe am öffentlichen Leben gehen sich nicht aus“, sagt Sonja Marnissi aus Landeck. Sie ist gesundheitlich schwer beeinträchtigt und lebt von einer Berufsunfähigkeitspension. Da diese immer wieder neu beantragt werden muss, bekommt die 55-Jährige in den dazwischenliegenden Monaten eine Mindestsicherung – unterm Strich etwa gleich viel.
Mit der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Unterstützung, darunter auch das Kindergeld für den jüngsten Sohn und eine geringe Notstandsbeihilfe, kann sie Miete und Betriebskosten um 400 Euro bezahlen, Strom um 50 Euro, Telefon, Versicherungen und einen noch laufenden Kredit von früher. Bleiben rund 300 Euro. „Das geht sich aus.“ Die Oberländerin, die selbst gerne ehrenamtlich hilft, wenn es sich irgendwie ausgeht, ist nicht undankbar: „Ich habe zu meinen Kindern immer gesagt, dass ein Dach über dem Kopf, Essen und Trinken in anderen Ländern nicht selbstverständlich sind.“ Doch eine Kürzung der Mindestsicherung, wie derzeit diskutiert, könne sie sich nicht vorstellen, „das wäre fatal für Menschen wie mich. Wir könnten uns das Essen nicht mehr leisten.“
Bei der Alleinerzieherin und ihrem jüngsten Sohn – der Gymnasiast will studieren – gibt es oft Gemüse zu essen, mit Reis oder Nudeln. „Alles frisch gekocht, das ist billiger und auch gesünder!“ Statt Süßigkeiten gibt es Obst. „Darauf kann ich nicht verzichten“, sagt Sonja Marnissi und hält die Schüssel mit den Äpfeln, den Birnen und Bananen mit beiden Händen fest umschlossen.
Worauf sie verzichten muss, sind Dinge, die für andere selbstverständlich sind: „Ich konnte meinen Kindern nichts bieten – keine Ausflüge, Kinobesuche und schon gar keine Urlaube. Wir haben natürlich kein Auto, das ginge sich nie aus, und ich brauche auch keines. Aber es war mir auch nie möglich, Fahrräder zu kaufen. Wir hatten jedoch manchmal das Glück, welche geschenkt zu bekommen.“
Wegen der Kinder konnte sie immer nur geringfügig arbeiten – als Putzfrau, Zimmermädchen oder Bürohilfe. Heute ist auch das nicht mehr möglich: Die Mutter von vier Kindern ist körperlich schwer beeinträchtigt, wegen angeborener Knieleiden wurde sie 13-mal operiert, sie hat Polyarthrose an den Händen und leidet seit 1990 an schweren Depressionen. Menschen wie sie werden häufig als Sozialschmarotzer bezeichnet, als arbeitsunwillig. Es wird mit Fingern auf sie gezeigt: „Du gehörsch ja nach Hall!“
Wer aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mehr arbeiten kann, hat das Nachsehen, sagt Sonja Marnissi. Der Platz im Leben scheint vorgegeben. Sie wünscht sich mehr Arbeitsplätze für körperlich und psychisch erkrankte Menschen.