Das geschwächte „Kalifat“ und die Strategien des IS

Damaskus/Berlin (APA/dpa) - Es ist keine zwei Jahre her, da schien der Siegeszug der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kaum zu stoppen. Die...

Damaskus/Berlin (APA/dpa) - Es ist keine zwei Jahre her, da schien der Siegeszug der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kaum zu stoppen. Die Jihadisten eilten in Syrien und im Irak von Sieg zu Sieg und brachten immer größere Regionen unter ihre Kontrolle.

Berauscht vom eigenen Erfolg löste der IS die Grenze zwischen beiden Ländern auf und rief stattdessen ein „Kalifat“ aus. Und das, so ließ die IS-Propaganda damals wissen, werde erst der Anfang sein.

Doch die Zeiten der militärischen Erfolg sind für den IS mittlerweile vorbei. In den vergangenen Monaten haben die Extremisten in Syrien und im Irak schwere Niederlagen hinnehmen müssen. Dabei mussten sich die IS-Kämpfer nicht nur aus wichtigen Gebieten zurückziehen - die Extremisten verloren seit Anfang des Jahres zugleich zahlreiche hohe Anführer. Zuletzt wurde Propagandachef Abu Mohammed al-Adnani bei einem Luftangriff in der Nähe der syrischen Stadt Aleppo getötet.

Militärexperten gehen mittlerweile davon aus, dass der IS in nicht allzu ferner Zukunft in Syrien und im Irak zumindest militärisch besiegt werden kann. Vernichtet aber wird die Terrormiliz damit nicht sein. Vielmehr zeigt sich seit längerem, dass die Extremisten ihre Strategie anpassen: Je mehr sie am Boden verlieren, desto stärker versuchen sie, vor allem im Westen Anschläge zu verüben.

Der IS hat dafür schon mehrfach eigene Leute getarnt als Flüchtlinge nach Europa eingeschleust. Das war etwa bei den Pariser Attentätern der Fall, und auch bei den drei Männern, die in Schleswig-Holstein gefasst wurden. Sie alle kamen wohl mit den gleichen Schleppern nach Europa und mit Pässen aus der gleichen IS-Werkstatt.

Nach Expertenmeinung hätte der IS es nicht nötig, diesen Weg zu nutzen. Es sei vielmehr eine Machtdemonstration. Außerdem gehe es darum, Flüchtlinge zu diskreditieren und die Bevölkerung in Europa zu verunsichern. Das gelingt gerade in Deutschland immer wieder.

Wie zu erwarten kommen kurz nach den Festnahmen aus dem CSU-regierten Bundesland Bayern die ersten Wortmeldungen, wonach Flüchtlinge ein Sicherheitsrisiko seien und das Übel im Kontrollverlust bei der Flüchtlingspolitik liege. Dabei eignet sich der aktuelle Fall kaum für solche Vorwürfe. Die deutschen Sicherheitsbehörden verfolgten die Bewegungen der drei Männer genau, überwachten sie über Monate.

Flüchtlinge generell als Gefahr zu bezeichnen, geht an der Realität vorbei: Bisher entpuppten sich die meisten Hinweise auf angebliche Terrorverdächtige unter Flüchtlingen in Deutschland als substanzlos. Zudem ist es für den IS schwieriger geworden, potenzielle Attentäter Richtung Europa zu schicken. Im Norden Syriens haben die Extremisten die Kontrolle über die Grenze zur Türkei und damit eine wichtige Nachschubroute verloren, über die sich auch IS-Anhänger bewegten.

Ein Risiko geht längst nicht nur von Schläferzellen, Terrorkommandos oder von IS-Leuten aus, die als Flüchtlinge getarnt nach Europa kommen. Gefahren lauern auch an vielen anderen Stellen, bei Ausländern wie Deutschen. Da wären die Rückkehrer aus Kampfgebieten. Ein Drittel der Islamisten, die bisher aus Deutschland nach Syrien und in den Irak ausreisten, sind inzwischen wieder zurück - manche davon kampferprobt und fanatischer denn je.

Ein großes Problem sind aber vor allem Einzeltäter im Land. Bisher gab es viele, die sich im Stillen radikalisierten und allein böse Pläne schmiedeten. Verfassungsschützer sehen aber ein neues Muster: Einzeltäter, die aus der Ferne Anweisungen vom IS bekommen. „Sorge bereitet uns ein neuer Tätertypus, bei dem es sich nur scheinbar um Einzeltäter handelt“, sagt Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. „Diese Attentäter werden virtuell aus dem Ausland über Instant Messaging ferngesteuert.“ Das sei eine besondere Herausforderung - ebenso wie die Aufdeckung von Schläferzellen.

Einzeltäter sind noch dazu schwerer aufzuspüren als Terrorkommandos. Denn sie kommunizieren weniger, sind nicht in größere Netze eingebunden. Die Kommunikationsüberwachung bereitet den Sicherheitsbehörden ohnehin Probleme - rechtlich und technisch. IS-Leute und andere Islamisten nutzen ausufernd das Internet und soziale Netzwerke für ihre Zwecke: zur Radikalisierung, Rekrutierung, Kommunikation und Steuerung - und zur Planung und Vermarktung von Anschlägen. Maaßen meint, für islamistische Terroristen seien das Internet und soziale Medien ein „Werkzeug hybrider Kriegsführung“.