Terroranklage in Tirol: Zwei Iraker zu Haftstrafen verurteilt
In getrennten Verhandlungen mussten sich am Donnerstag zwei Männer in Innsbruck vor Gericht verantworten. Sie sollen im Irak Mitglieder einer Terrormiliz gewesen sein. Beide Männer wurden zu Haftstrafen verurteilt.
Innsbruck – Zwei Iraker mussten sich am Donnerstag wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung am Innsbrucker Landesgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft den Asylwerbern im Alter von 21 und 28 Jahren vor, Mitglieder der schiitischen Terrormiliz „Asa’ib Ahl al-Haqq“ gewesen zu sein. Die beiden Fälle wurden getrennt voneinander verhandelt. Der Prozess am Landesgericht lief unter allerstrengsten Sicherheitsvorkehrungen ab. Das Gebäude und der Verhandlungssaal wurden von bewaffneten und vermummten Spezialeinheiten der Polizei und der Justizwache geschützt. Am Nachmittag fiel dann das erste Urteil: Schuldspruch für den 21-Jährigen. Er wurde zu 24 Monaten Haft, 16 Monate davon bedingt, verurteilt.
Es gebe „starke Indizien“, dass der Mann entgegen seinen Angaben vor Gericht tatsächlich Mitglied der schiitischen Terrormiliz „Asa‘ib al-Haqq“ war, erklärte der Richter in seiner Urteilsbegründung. Als Milderungsgründe wurden vom Schöffengericht das Alter sowie seine bisherige Unbescholtenheit gewertet.
Wenige Stunden später fiel auch im zweiten Prozess gegen den 28-Jährigen das Urteil: Er wurde zu zweieinhalb Jahren unbedingter Haft verurteilt. Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Die schiitische Miliz „Asa‘ib al-Haqq“ sei als terroristische Einheit zu werten und der Mann habe gewusst, dass er sich einer solchen anschließt, hieß es in der Urteilsbegründung.
„... nie Mitglied der Asa’ib Ahl al-Haqq gewesen“
Der 21-jährige Iraker, und damit rechtlich noch junger Erwachsener, soll bis zum Frühjahr 2015 für die Miliz zwar nicht gekämpft, aber Versorgungslieferungen durchgeführt haben. Vor dem Jugendschöffengericht bekannte er sich am Donnerstagvormittag zum Vorwurf der terroristischen Vereinigung nicht schuldig. Anders wie in der Anklage dargestellt sei er gar nie Mitglied der Asa’ib Ahl al-Haqq-Milizen gewesen. Er habe sich 2015 freiwillig einer anderen Gruppierung angeschlossen, für diese, nach 19 Trainingseinheiten, lediglich eine Lebensmittellieferung an Kämpfer durchgeführt. Die al-Haqq-Milizen seien zu dieser Zeit gar nicht in der Region gewesen.
Auf Frage des Richters, warum er denn dann auf seinem Handy ein al-Haqq-Symbol heruntergeladen habe und im Besitz eines Scharfschützen-Symbols gewesen sei, erklärte der Angeklagte dies mit Angeberei und dem Ansammeln von Bildern aus dem Kriegsgeschehen. Auf die Frage warum eine Person, mit der der Angeklagte auf einem Bild zu sehen sei, das Al-Haqq-Symbol trägt, antwortete der Angeklagte nur, dass solche Symbole im Irak jeder tragen könne und er die beim Melonenessen abgebildete Person nicht einmal gekannt habe - Aussagen die im fernen Tirol schwer nachzuprüfen sind.
Irakischer Konsul als Zeuge der Verteidigung
Der Verteidiger des 21-Jährigen wies darauf hin, dass sich sein Mandant nach einem Aufruf der irakischen Regierung, sich gegen den IS zu stellen, einer staatlichen Miliz beziehungsweise einer staatlichen Organisation angeschlossen habe.
Auch gab er bei der Beurteilung solcher Milizen, die im Irak gegen den IS kämpfen, zu bedenken, dass man hier nicht so einfach zwischen schwarz und weiß unterscheiden könne und Grenzen und Akteure immer wieder wechseln würden. Zum Beweis führt das legitime Handeln des Iraker bietet die Verteidigung heute sogar den Irakischen Konsul auf, der für seine Aussage extra von Wien nach Innsbruck angereist ist.
Er bestätigte, dass die Überorganisation der al-Haqq eine staatliche Organisation sei. Auch die al-Haqq selbst sei anerkannt: „Ohne alle diese Gruppierungen wäre der IS schon viel weiter gekommen. Irakische Medien berichten diesbezüglich über Heldentaten.“ Und der Konsul provokant zum Gericht: „Kann denn die Befreiung und Verteidigung des Irak in Österreich eine Straftat sein?“
Für Sachverständigen ist Miliz „Terror-Einheit“
Ein als Sachverständiger beigezogener Nahost-Experte widersprach dem irakischen Konsul jedoch und bezeichnete die al-Haqq-Miliz wie im Gutachten als terroristische Organisation, die auf dem Gebiet des Irak eigentlich vom Iran gesteuert wird. Etliche Verbrechen, insbesondere auch an der sunnitischen Bevölkerung, seien dokumentiert. Der Sachverständige: „Was der Konsul hier heute geschildert hat, ist wohl irakische Wunschvorstellung!“
Der Sachverständige berief sich in seinem Gutachten auch auf Berichte von Menschenrechtsorganisationen. Die Miliz „Asa‘ib al-Haqq“ sei etwa für die Zerstörung von Häusern und Dörfern im Irak verantwortlich. Zudem habe die Einheit IS-Kämpfer ohne vorheriges Gerichtsverfahren ermordet und Zivilisten, die im Verdacht des Naheverhältnisses zum IS stehen, getötet.
Angeklagter als fanatischer Milizenanhänger beschrieben
Einstige Mitbewohner eines Tiroler Flüchtlingsheims schilderten in auf Videos aufgenommenen Befragungen indessen den Angeklagten als fanatischen Milizenanhänger, der nach eigenen Erzählungen an der Front ganz vorne gestanden wäre. Auch als Scharfschütze mit einer Waffe sei er auf einem Bild zusehen gewesen. Dazu habe der Angeklagte im Heim immer laut shiitische Musik gehört, die sonst nur von fanatischen Kämpfern gehört werde. Mitbewohner sagten auch aus, dass der 21-Jährige ihnen gegenüber angegeben habe, in Kampfhandlungen verwickelt gewesen zu sein und Menschen getötet zu haben. Er habe als „Scharfschütze“ agiert. Zudem habe der Iraker ihnen im Heim auch Handy-Fotos gezeigt, auf denen er bewaffnet zu sehen gewesen sei.
Unter einem Video auf Facebook, das die Terroranschläge in Paris zum Gegenstand hatte, habe der Mann zudem den Kommentar „Wir werden Europa zerstören“ gepostet.
„Ich mag nicht glauben, dass das alles Terroristen sind“
Am Donnerstagnachmittag begann dann in einer separaten Verhandlung der Prozess gegen den 28-Jährigen. Er soll laut Anklage von 2014 bis Frühling 2015 seine Miliz nicht nur durch strafbare Handlungen im Zusammenhang von Kämpfen nahe Tikrit und in Babel als Kämpfer im Straßenkampf gefördert haben, sondern auch noch als Leibwächter und Wachorgan des Milizanführers tätig gewesen sein. Der 28-Jährige plädierte auf „nicht schuldig“.
Ein Verteidiger wies mahnend darauf hin, dass man den Kampf gegen den IS im völlig instabilen Irak nicht mit heimischen Maßstäben bzw. aus österreichischer Sicht beurteilen dürfe: „Tausende Iraker haben sich gegen den IS zu kämpfenden Milizen zusammengeschlossen. Ich mag nicht glauben, dass das alles Terroristen sind.“ In diesem Krieg sei alles sehr komplex, es gebe nicht nur gut und böse, schwarz oder weiß. „Alles verschwimmt hier anhand einer Lebensrealität, die wir uns in Europa einfach nicht vorstellen können.“
Der Verteidiger erzählte dann vom Schicksal seines Mandanten. Lebte der 28-Jährige doch vor dem Vorstoß des IS als Bäcker ganz normal mit seiner Familie in Bagdad. Erst als der IS schon 60 Kilometer vor Bagdad stand, hätte sich der Familienvater nach dem Aufruf des religiösen Führers der Schiiten einer der rund 40 Milizen angeschlossen. Sie kämpften dabei an der Seite der überforderten irakischen Armee. Vier Wochen habe er dann mit dem Gewehr in der Hand an der Befreiung von Tikrit und Babel mitgewirkt. „Er kämpfte gegen den IS und fühlt sich als Held. Nur deshalb hat mein Mandant hierzulande ja so frei seine Aussagen getätigt!“, so der Verteidiger.
Dabei sagte der Iraker zumindest bis zum Prozess aus, dass er auf Seiten der Asa ’ib Ahl al-Haqq-Miliz gekämpft und dort sogar deren Führer bewacht habe – eine schiitische Kampforganisation gegen den sunnitischen IS und alle seine Sympathisanten. Angesiedelt unter der vom Staat organisierten Dachorganisation Al-Hashd al Shaabi. Im Prozess durchschnitt der 28-Jährige jedoch den roten Faden seiner bisherigen Verantwortung und wollte zwar an den Kämpfen teilgenommen haben, aber von der Al-Haqq-Miliz nichts mehr wissen. Bei einer Strafandrohung von bis zu zehn Jahren Haft ergingen zweieinhalb Jahre Gefängnis. (fell, TT.com)