EU-Gipfel - Viktor Orban und sein Aufstieg nach der „Lügenrede“

Brüssel/Bratislava/Budapest (APA/dpa) - Der wohl polarisierendste Teilnehmer des EU-Sondergipfels in Bratislava ist der ungarische Regierung...

Brüssel/Bratislava/Budapest (APA/dpa) - Der wohl polarisierendste Teilnehmer des EU-Sondergipfels in Bratislava ist der ungarische Regierungschef Viktor Orban. Noch keine Woche ist es her, dass der rechts-nationale Politiker die EU-Spitzen Jean-Claude Juncker und Martin Schulz als „Nihilisten“ bezeichnete, die das „auf Christentum und Nation beruhende Europa zerstören“ wollten.

In Ungarn herrscht Orban seit 2010. Die demokratischen Institutionen, die Unabhängigkeit der Medien hat er weitgehend ausgehöhlt, werfen ihm Kritiker - auch in den EU-Gremien - vor. Seine Macht gründet sich aber auch auf den Niedergang des linken und liberalen Lagers in seinem Land. Es ist ein Zufall, dass der Gipfel von Bratislava einen Tag vor jenem Jahrestag stattfindet, der die Zäsur markiert, die Orbans Aufstieg erst ermöglichte.

Am 17. September 2006 wurde jene Rede des damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany bekannt, die als „Lügenrede“ in die Annalen einging. Gehalten hatte sie Gyurcsany im Mai davor auf einer internen Fraktionssitzung seiner Partei. Eigentlich war es eine wütende Antwort auf die Einwände der sozialistischen Abgeordneten gegen seine Spar- und Reformpolitik.

Aber es kamen darin Kraftausdrücke vor und Sätze wie: „Wir haben am Morgen gelogen, in der Nacht und am Abend.“ Bezogen hatte sich das auf die Angaben der Gyurcsany-Regierung zur Budgetlage vor der Parlamentswahl im selben Jahr.

Einen knappen Tonband-Auszug dieser Rede mit den saftigsten Stellen ließen Unbekannte am 17. September den Medien zukommen. Tags darauf begannen wochenlange Unruhen, an denen sich auch Rechtsextremisten beteiligten. Die Polizei reagierte zum Teil mit übertriebener Härte, die auch gewaltfreie Demonstranten traf.

Orban, damals in der Opposition, heizte die Demonstranten an und forderte wie sie den Rücktritt Gyurcsanys. Der Sozialist versuchte die Situation auszusitzen und warf erst 2009 das Handtuch. Bis dahin verfiel das Regierungslager in Agonie. Orban und seine Fidesz-Partei errangen zunehmend die politische Hegemonie. Bei der Parlamentswahl 2010 fiel den Rechten die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit praktisch in den Schoß.