Stichwort - Entscheidungstage für das CETA-Abkommen mit Kanada

Berlin (APA/Reuters) - Europa und Kanada haben 2009 Verhandlungen über ein umfassendes Freihandelsabkommen mit dem Namen „Comprehensive Econ...

Berlin (APA/Reuters) - Europa und Kanada haben 2009 Verhandlungen über ein umfassendes Freihandelsabkommen mit dem Namen „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (CETA) aufgenommen. Ziel war nicht nur, die Zölle zwischen beiden Ländern rigoros abzubauen. Vielmehr gingen beide Seiten viel ehrgeiziger zur Sache. Das Ergebnis nennen Kritiker wie Befürworter ein Freihandelsabkommen von einem ganz neuen Typus.

Die jeweiligen Heimatmärkte sollen für den Partner weit geöffnet und in Bereichen, die weit über die traditionelle Handelspolitik hinausreichen, gemeinsame Regeln und Standards gesetzt werden. Befürworter sehen darin eine Stärke, die Kritiker eine Schwäche.

Mit dem Ergebnis der fünfjährigen Verhandlungen, die lange fernab der Öffentlichkeit liefen, liegt nach Darstellung der EU-Kommission ein Abkommen vor, das den Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen beiden Wirtschaftsräumen längerfristig um 23 Prozent ausweiten sollte. Europas Firmen würden durch vielerlei Kostenentlastungen und Vereinfachungen pro Jahr fast eine halbe Milliarde Euro sparen. Zudem hält die Kommission einen Zusatzimpuls in Form einer jährlich zwölf Milliarden Euro höheren EU-Wirtschaftsleistung für möglich. Dabei sollen viele nationale Besonderheiten allerdings - so zumindest der Anspruch beider Seiten - dem Bestreben nach mehr Harmonisierung und Liberalisierung nicht geopfert werden. Es geht etwa um Kultur und Medien, aber auch um die Gesundheitsversorgung - um Bereiche, die in Europa gemeinhin als „Daseinsvorsorge“ gelten.

EU als ZWEITWICHTIGSTER HANDELSPARTNER DER KANADIER

Kanada stellt für die EU einen interessanten, wenn auch nicht überragend wichtigen Auslandsmarkt mit einem seit Jahren robusten Wachstum dar. Für Kanada sind die Europäer immerhin der zweitwichtigste Partner in der Welt mit einem Anteil am Außenhandel des Landes von knapp zehn Prozent. Für die Europäische Union dagegen rangiert Kanada bei den Importen und Exporten zusammengenommen jenseits der Top-Ten. Insgesamt lag das Außenhandelsvolumen zwischen Kanada und der EU im vergangenen Jahr bei gut 63 Milliarden Euro, das mit Deutschland bei knapp 21 Milliarden Euro. Es wuchs 2015 kräftig - sowohl bezogen auf die EU als auch auf Deutschland.

WAS MIT DEM ABKOMMEN ERREICHT WURDE

Über 99 Prozent der Zölle zwischen beiden Volkswirtschaften sollen durch das CETA-Abkommen abgebaut werden, lautet ein Verhandlungsergebnis. Es soll nicht nur für Firmen im Waren- und Dienstleistungsaustausch leichtere Marktzugänge auf beiden Seiten des Atlantiks geben, sondern auch für Landwirte sowie für Post- und Telekomanbieter. Die Europäer verweisen als Erfolg darauf, dass gerade für mittelständische Firmen viele Türen für neue Geschäfte aufgeschlossen würden.

In den meisten kritischen Feldern, versichern die Unterhändler aus Brüssel, gebe es für Europa Bestandsschutz. Zwingende Vorschriften des Arbeitsrechts, das Streikrecht und auch der Mindestlohn würden durch CETA nicht infrage gestellt. Als Beleg wird zum Beispiel auf eine „Arbeitsmarktklausel“ verwiesen. Damit könnten etwa der Mindestlohn in EU-Ländern und Tarifverträge nicht in Gefahr kommen, sagt das deutsche Wirtschaftsministerium.

Was das besonders strittige Thema Investitionsschutz angeht, so hat die europäische Seite im Nachhinein eine Regelung in die CETA-Verträge hineinverhandelt, die engere Grenzen für solche speziellen Streitschlichtungsverfahren zwischen Konzernen und den jeweiligen Staaten setzt. Gabriels Ministerium spricht von einem „modernen Investitionsschutz“ mit einem unabhängigen rechtsstaatlichen Investitionsgericht und nicht, wie zuvor geplant, ominösen privaten Schiedsgerichten. Kritiker dagegen fragen, warum es überhaupt einen solchen speziellen Rechtsweg für Konzerne geben soll und sehen dramatische Risiken sowie eine Benachteilung der Europäer gegenüber Ausländern.

CETA-ABLEHNER MACHTEN MOBIL UND SETZEN GABRIEL UNTER DRUCK

Für die Kritiker bleibt CETA ein rotes Tuch. Viele von ihnen fordern, das ganze Abkommen müsse neu verhandelt werden. So wie es vorliege, sei es nicht zustimmungsfähig. Schon vor einem Jahr brachte eine breite Ablehnerfront mehr als 200.000 Menschen auf in Berlin auf die Straße, um das Abkommen und seine „Schwester“, das geplante TTIP-Handelsabkommen mit den USA, zu stoppen. Nun, am 17. September, sollen es in Berlin und sechs weiteren deutschen Großstädten möglichst noch mehr werden. Damit soll vor allem Druck auf die SPD gemacht werden, in der viele CETA kritisch sehen. Die Sozialdemokraten wollen am Montag auf einem Konvent entscheiden, ob sie bei dem Abkommen ihrem Parteichef Gabriel folgen, der es für gut und wichtig hält. Dann könnte Gabriel im EU-Handelsministerrat erst einmal dazu Ja sagen. Und im Zuge der Beratungen im EU-Parlament könne, so hofft mancher, noch die eine oder andere Klarstellung der umstrittenen Vereinbarung als Anlage beigefügt werden.

Es ging und geht allerdings ohnehin schon lange nicht nur um das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Es geht im Grunde immer auch um das Freihandelsprojekt TTIP zwischen der EU und den USA, bei dem die Verhandlungen allerdings wegen krasser Meinungsunterschiede zwischen beiden Seiten derzeit feststecken. Die Skeptiker sehen in CETA und TTIP im Grunde „Zwillinge“ in Sachen Demokratiefeindlichkeit, Konzernfreundlichkeit und Gefahrenquelle für Schutzrechte aller Art. Unterschieden wird zwischen beiden Vereinbarungen, gegen die der massive Widerstand in Europa überwiegend aus Deutschland, Österreich, Frankreich und aus Belgien kommt, bei den Kritikern kaum mehr.

Sollte CETA trotz all der Widerstände von beiden Seiten nach einem Ja der EU-Handelsminister in Kürze ganz oder teilweise vorläufig in Kraft gesetzt werden, droht der nächste Akt vor Gericht zu laufen. Denn eine Initiative hat bereits in Deutschland 125.000 Unterschriften als Vollmacht gesammelt und gegen das europäisch-kanadische Abkommen Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht.