Bratislava-Gipfel soll Startschuss für EU-Reformprozess geben
Wien/Brüssel (APA) - Bei einem Sondertreffen in Bratislava wollen die Staats- und Regierungschefs am Freitag erste Schritte zu einer Reform ...
Wien/Brüssel (APA) - Bei einem Sondertreffen in Bratislava wollen die Staats- und Regierungschefs am Freitag erste Schritte zu einer Reform der EU nach dem britischen Brexit-Votum einleiten. Konzentrieren soll sich der vom slowakischen Premier Robert Fico so getaufte „Bratislava-Prozess“ auf die Bereiche innere und äußere Sicherheit sowie Wirtschaftswachstum. Großbritannien sitzt nicht mit am Tisch.
Bei ihrer Ankunft in Bratislava gaben sich die EU-Staats- und Regierungschefs dann auch durchaus problembewusst. So erklärte etwa die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die Union befinde sich in einer kritischen Situation. Und Frankreichs Präsident Francois Hollande erklärte, es ginge nun darum, den Bürgern das Vertrauen in die EU zurückzugeben.
Spätestens zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge Ende März 2017 soll festgelegt werden, wie eine engere Zusammenarbeit in den Bereichen innere und äußere Sicherheit aussehen kann und wie zusätzliche Investitionen angeschoben werden können. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat bereits angekündigt nach dem Treffen in Bratislava einen detaillierten Fahrplan für die Zukunft der EU vorlegen zu wollen.
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) legte den Fokus einmal mehr auf den nötigen wirtschaftlichen Aufschwung. Es gehe um „Wachstum, Wachstum und noch einmal Wachstum“, erklärte Kern bei seiner Ankunft in der slowakischen Hauptstadt. „Der Brexit ist ja nicht ein Ausdruck gewesen, dass man kein Vertrauen in die EU-Institutionen hat. Es ist Enttäuschung darüber, dass das Versprechen der Wohlfahrt, dass es den nächsten Generationen besser gehen wird, und dass das Versprechen der Sicherheit nicht mehr überzeugend eingehalten wird.“
Thema wird beim Bratislava-Gipfel erneut auch die Sicherung der EU-Außengrenze sein. Hier hatten sowohl Tusk als auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zuletzt 200 zusätzliche Beamte für den EU-Außengrenzschutz in Bulgarien verlangt, wohin sich die Fluchtroute im Fall eines - zuletzt zunehmend befürchteten - Scheiterns des EU-Türkei-Deals verlagern könnte.
Er „gehe zwar davon aus“, dass das Abkommen mit Ankara auch in Zukunft halte, sagte Kern. Aber es gibt keine Garantien. Und das sollte Europa auf keinen Fall unvorbereitet treffen. Thematisieren will der Bundeskanzler beim EU-Sondertreffen auch einmal mehr die österreichische Forderung nach einem Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Hier steht Österreich, zumindest was offizielle Stellungnahmen angeht, allerdings bisher auf verlorenem Posten. Im Hintergrund habe es durchaus sehr viel Zustimmung zur österreichischen Position gegeben, sagte Kern am gestrigen Donnerstag im Parlament.
Neben einer verstärkten innereuropäischen Koordinierung beim Kampf gegen den Terrorismus, wollen die Staats- und Regierungschefs am Freitag auch über eine „gemeinsame Verteidigungsstruktur“ - die Vorstufe zu einer möglichen späteren EU-Armee - reden. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hatte zuletzt einen Vorschlag über ein gemeinsames EU-Hauptquartier für Verteidigungsfragen in Brüssel vorgelegt und unter anderem gemeinsame Investitionen im Verteidigungsbereich sowie einen Einsatz - der bereits seit 2007 existierenden aber bisher nie verwendeten - EU-Battlegroups vorgeschlagen. Ähnliche Vorstöße waren aus Paris und Berlin gekommen, auch Ungarn und Polen sowie Tschechien drängen auf eine EU-Armee.
Dem stehen mehrere NATO-Staaten aber kritisch gegenüber, weil sie doppelte Strukturen befürchten. Es handle sich um ein ein „Missverständnis“ sagte etwa die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite. „Wir können nicht die NATO verdoppeln oder ersetzen.“
Einen eigenen Vorschlag über eine Reform der Europäischen Union wollen unterdessen die sogenannten Visegrad-Staaten (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei) vorlegen. In einem am Freitag veröffentlichten Papier fordern sie unter anderem eine stärkere Rolle für die nationalen Parlamente. Auch EU-Ratspräsident Tusk hatte in seinem Einladungsschreiben zum Gipfel geschrieben, „nationale Wähler“ wünschten sich „mehr Einfluss auf die Entscheidungen der EU“.
Dies war von vielen als Widerspruch zur Position von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und Kommissionspräsident Juncker interpretiert worden, die generell an mehr Integration interessiert sind. Dem widersprach Schulz allerdings am Freitagvormittag in Bratislava vor Journalisten. Bei einem Treffen mit Tusk und Juncker am Vorabend wären sie „in fast allem einer Meinung gewesen“, so Schulz. Auch habe er Tusks Schreiben nicht als Ruf nach mehr nationalstaatlichem Einfluss gelesen, sondern als Aufruf an die nationalen Regierungen, sich stärker zu integrieren.
Fortschritte in der seit Monaten nicht vom Fleck kommenden Umverteilung von Flüchtlingen in Europa werden in Bratislava nicht erwartet. Diese scheiterte zuletzt vor allem am Widerstand osteuropäischer Staaten. Man wünsche sich in der Flüchtlingsfrage eine „flexible Solidarität“ hieß es dann auch im Papier der Visegrad-Staaten. Und eine Verteilung könnte nur „freiwillig“ erfolgen.