Bentley

Die oberen Zehntausend

Bentley will wachsen – deshalb hat sich die Luxusmarke entschieden, ein großes Sport Utility Vehicle namens Bentayga auf den Markt zu bringen: Demnächst erhält der Hochbau einen starken, verkaufsfördernden Diesel.
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Bentley baut Autos der Spitzenklasse, im letzten Jahr etwa zehntausend davon. Aber sogar bei denen gibt es Klassenunterschiede.

Von Stefan Pabeschitz

Crewe – Wenn Jamie Smith über das Portfolio spricht, das Mulliner für Bentley abdeckt, fällt das Wort „kaufen“ niemals und auch Preise nennt er möglichst keine. Er hat eine ruhige, angenehme Art, den Wert einer Sache mitzuteilen, ohne dass eine Zahl im Spiel ist. Fünfundzwanzig Jahre ist er gerade einmal alt, aber wir nehmen ihm ab, dass er absolut keine Probleme hat, mit Interessenten jeden Gewichts über das Angebot der Muliner-Manufaktur auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Das Kundenspektrum bewegt sich in etwa im Dreieck Rockstar-Industrielle-Adel, ist also einigermaßen variabel. H. J. Mulliner & Co. war der Kutschenbauer, der 1921 den ersten Bentley karossiert hat – daraus wurde eine fruchtbare Zusammenarbeit. 1959 geht die Firma in Bentley auf und wird dort die Abteilung für Spezialfälle. Von denen selbst in den weniger rosigen Jahren einige anfallen, als das Unternehmen als Anhängsel von Rolls Royce mitlaufen muss. Als Volkswagen Bentley übernimmt, wird es vorerst still um Mulliner – bis Name und Kompetenz 2014 reanimiert werden. Das Wissen um die Sensibilität der Kundenwünsche, um Diskretion und vor allem um das Handwerkliche der Umsetzung war ohnehin nie verloren – es musste nur in eine neue Form gegossen werden.

In den ersten beiden Jahren seit dem Neustart haben sich die Mulliner-Aktivitäten bereits verzehnfacht. Die Verantwortung beginnt schon bei Kleinserien innerhalb der Bent­ley-Palette, wie etwa die Herstellung der sieben Auto-Unikate zur Breitling-Jetstaffel. Oder bei limitierten Editionen bis zu 100 Stück mit spezieller Ausstattung, Lackierung oder Anbauteilen. Und natürlich für Kundenwünsche. Die Geschichte vom Nagellack, dem Handtuch oder der Krawatte, die als Farbmuster überreicht wurden, hat praktisch jeder Sonderausstatter parat, ob es nun AMG, M oder die Porsche Manufaktur ist. Mit der Geschichte vom hellblauen Lieblingsmixer, dessen Farbe es sein musste, legt Mulliner aber noch eins drauf. Noch besser ist nur die: Ein Kunde bestand für den Innenraum seines Bentley auf dem Holz seines soeben gefallenen Lieblingsbaums im Garten. Aber auch dieser Herausforderung war man gewachsen. Und wie gesagt: Über Geld wird hier nicht gesprochen.

Nigel Lofkin kommt ins Spiel, wenn Kunden den Wunsch haben, dem Werden ihres Bentley beizuwohnen. Er ist seit 37 Jahren im Unternehmen, sein Vater hat schon hier gearbeitet, sein Bruder tut es ebenso, sein Sohn hat grade sein Sommerpraktikum in Crewe gemacht. Nigel liebt die Autos und spricht fast zärtlich über sie, über das, was sie zu etwas Besonderem macht – und er teilt seine Begeisterung gerne mit den Gästen. Manche bleiben die ganze Produktionszeit und sind glücklich, die eine oder andere Schraube selbst angezogen zu haben. Bei Bentley geht das – alle Autos entstehen vollständig in Handarbeit. 132 Mannstunden sind es für das modernste Modell der Palette, den Bentayga, imposante 500 für einen Mulsanne. Es gibt nur zwei Roboter in Crewe – einer bringt die Scheibendichtungen an, der andere presst die Holzfurniere auf die Armaturenbrettteile. Die beiden stehen in völlig unterschiedlichen Abteilungen und heißen Romeo und Julia – weil sie nie zusammen sein werden. Drei bis viereinhalb Stunden braucht es, ein Lenkrad von Hand mit Leder zu beziehen und zu vernähen, 28 Stunden eine ganze Innenausstattung. So viel Zeit muss sein. Wer die Manufaktur-Werkstätten von Bentley und Mulliner verlässt, hat einiges an Respekt und Ehrfurcht gewonnen. Man muss dafür kein Fan der Marke sein – ja, nicht einmal Autos zu mögen, ist notwendig. Es reicht, gutes Handwerk zu erkennen und zu schätzen.