„24 Wochen“-Regisseurin Berrached: „Wir müssen über das Danach reden“

Wien (APA) - Im Film „24 Wochen“ sieht sich die im 6. Monat schwangere Kabarettistin Astrid mit einer schier unvorstellbaren Entscheidung ko...

Wien (APA) - Im Film „24 Wochen“ sieht sich die im 6. Monat schwangere Kabarettistin Astrid mit einer schier unvorstellbaren Entscheidung konfrontiert: Was tun, wenn beim ungeborenen Kind eine schwere Fehlbildung festgestellt wird? „Wir müssen über das Danach (der Untersuchung, Anm.) reden“, fordert Regisseurin Anne Zohra Berrached im APA-Interview. „Und genau das macht der Film.“

Bei seiner Uraufführung als einziger deutscher Beitrag im Wettbewerb der Berlinale hatte „24 Wochen“ die Kritiker begeistert, am 23. September kommt das Drama nun in die österreichischen Kinos. Für die 34-jährige Berrached ist es der zweite Film, der sich um Elternschaft dreht: Ihr Debütfilm „Zwei Mütter“ (2013) handelte von einem lesbischen Paar mit Kinderwunsch.

„24 Wochen“ ist nun weniger stark an eine politische Haltung geknüpft, dafür ein klares Plädoyer für eine offene Diskussion über das Tabuthema Spätabtreibung. „Ich finde es scheinheilig, auf der einen Seite alles daran zu setzen, dass die Technik besser wird und wir in den Bauch reinkucken können“, so die Erfurterin, „auf der anderen Seite aber nicht über die moralische Komponente reden - darüber, was ist, wenn wir alles gesehen haben und herausfinden, dass das Kind was haben könnte.“

Die Pränataldiagnostik, bei der die Embryos auf mögliche Krankheiten getestet werden, vermittle eine Sicherheit, die sie gar nicht bieten kann. „Sicherheit würde bedeuten, dass sie uns davor bewahrt, dass unsere Kinder Behinderungen bekommen“, meint Berrached, für die die Diskussion da aufhört, „wo es spannend wird - nämlich da, wo die Pränataldiagnostik nicht mehr greifen kann“. „Das ist paradox. Es ist nicht ganz ehrlich, wie das ganze besprochen wird.“

In Deutschland - wie auch in Österreich - ist der Schwangerschaftsabbruch bis unmittelbar vor der Geburt straffrei, wenn „eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt“ sein wird. Ab der titelgebenden 24. Woche ist das Kind auch außerhalb des Mutterleibes lebensfähig, stirbt also bei einem Spätabbruch nicht an den Qualen der Frühgeburt, sondern muss - durch die Bauchdecke der Mutter - per Giftspritze ins Herz getötet werden. „Dann - das ist zumindest meine Meinung - wird das noch mehr zum Massaker“, sagt Berrached. „Es gibt andere Haltungen, wonach das Kind schon mit der Zeugung ein Mensch wird und die Abtreibung von da an verwerflich ist. Meine Haltung ist: Ab der 24. Woche wird es plastisch - so, dass wir einen Menschen nicht bekommen.“

Viele Frauen wüssten nicht, worauf sie sich mit der vorgeburtlichen Untersuchung einlassen; Ärzte, so Berrached, würden tendenziell zu allen Tests drängen. Werden dann Fehlbildungen festgestellt, entscheiden sich nach der 12. Woche laut Berracheds Recherche 90 Prozent aller Frauen in Deutschland zu einem Abbruch - und das nicht leichtfertig, ist sie überzeugt. „Du bist erstmal Mensch und willst das Kind bekommen. Ich glaube, dass die Abtreibung nach dem dritten Monat ein Riesending ist - für alle! Das zerstört Familien, das gibt Diskussionen. Keiner sagt sofort: ‚Juhu, das mach ich jetzt.‘ Das ist immer ein riesiger Entscheidungskonflikt.“

Die so hohe Zahl der Spätabtreibungen begründet Berrached damit, „dass wir eben ein leistungsfähiges Kind in die Welt setzen wollen“. „Ein Mensch, der anders ist, hat in unserer Gesellschaft nicht den gleichen Stellenwert. Da muss angesetzt werden, dass diese Menschen noch mehr in unsere Gesellschaft integriert werden.“ Damit Frauen sich mit der Entscheidung nicht so alleine fühlen, müsse man „mehr aufklären“, sie etwa mit Frauen in Berührung bringen, die das schon durchgemacht haben. Entscheiden sie sich schließlich für den Abbruch, gehe das mit einem ungemeinen Stigma einher. „Von jedem Arzt wird einem ja geraten, man solle bei einem Abbruch anderen sagen, das Kind sei abgegangen - dass die Natur es war, die das Kind getötet hat, nicht man selbst.“

Der Protagonistin Astrid habe sie auch deshalb den Beruf der Kabarettistin verpasst, weil sie am Ende des Films „in die Öffentlichkeit gehen und beichten sollte“, so Berrached. Die Regisseurin spricht selbst offen darüber, selbst eine Abtreibung innerhalb der ersten drei Monate ihrer Schwangerschaft hinter sich zu haben. „Ich weiß zwar wie alt das Kind wäre, wann es Geburtstag hätte, ich denke an dieses Kind, und trotzdem würde ich sagen, dass es richtig war, was ich gemacht habe. Ich habe kein Trauma davon erlitten“, sagt Berrached. „Ich will alles, was ich mache, ehrlich machen, und deshalb sage ich das auch.“

Dementsprechend ist auch Berracheds Art des Filmemachens der Authentizität verschrieben. Sie arbeitet halbdokumentarisch; die Schauspieler - neben Julia Jentsch als Astrid u.a. Bjarne Mädel als ihr Ehemann Markus - standen neben realen Ärzten, Pränataldiagnostikern und Hebammen vor der Kamera und improvisierten auf Basis des Drehbuchs. „Es bestand ein großes Interesse bei den Ärzten und Fachleuten, die mit dem Thema berührt sind“, erzählt Berrached. „Da war ein großes Verlangen auch nach dem Film.“

Wichtig war der Regisseurin die Realität auch, was die Schwangerschaft betrifft. „24 Wochen“ ist nun der erste Film, der in Europa hochauflösende Bilder aus dem Mutterleib zeigt. „Astrid spürt ja das Kind im Bauch, und diese Ebene des Gefühls wollte ich schaffen“, erläutert Berrached. „Ich wollte auf keinen Fall diese orangenen, hässlichen 3D-Ultraschallbilder. Die funktionieren auf der Leinwand nicht.“ Lediglich vier Ärzte in Deutschland würden vorgeburtlich im Mutterleib operieren und damit Behinderungen verhindern. Einer von ihnen erklärte sich bereit, mit einer nicht-invasiven Kamera zu operieren; so entstanden die Bilder. „Wenn wir das mit digitalen Effekten gemacht hätten, wären die Bilder womöglich spektakulärer geworden. Aber es wäre nicht echt gewesen.“

Umso stärker fällt der Stilbruch auf, wenn Julia Jentsch als Astrid in einzelnen Momenten direkt in die Kamera blickt. Einerseits blicke sie ihr „Über-Ich, ihr schlechtes Gewissen“ an, so Berrached - „aber natürlich auch uns, die wir im Kinosaal sitzen“. „In dem Moment ist der Film nicht so auf Authentizität aus. Ich wollte, dass der Zuschauer angesprochen und gefragt wird: Was würdest du tun, wenn du in meiner Situation wärst?“

(Das Gespräch führte Angelika Prawda/APA.)

(S E R V I C E - www.filmladen.at/24.Wochen)