Sicherheit als Leitmotiv - EU sucht Ausweg nach der Brexit-Krise

Brüssel/Bratislava/London (APA) - Sicherheit als Leitmotiv: Beim Bratislava-Gipfel - der ersten Bestandsaufnahme der 27 EU-Staaten nach dem ...

Brüssel/Bratislava/London (APA) - Sicherheit als Leitmotiv: Beim Bratislava-Gipfel - der ersten Bestandsaufnahme der 27 EU-Staaten nach dem britischen EU-Austrittsvotum - glich die slowakischen Hauptstadt einem einzigen Hochsicherheitstrakt: Das Zentrum abgeriegelt, Scharfschützen auf den Dächern, Taucher in der Donau, die Schulen geschlossen. Den Bewohnern wurde nahegelegt, ihre Stadt für ein paar Tage zu verlassen.

Hinter den Mauern der Burg von Bratislava kamen am Freitag die Staats- und Regierungschefs zusammen, um einen Weg aufzuzeigen, wie die Gemeinschaft nach dem Brexit-Votum für die EU-Bürger wieder attraktiv werden soll. Innere und äußere Sicherheit als Leitmotiv - so könnte man auch den derzeit kleinsten gemeinsamen Nenner der EU bezeichnen, angesichts von Terrorängsten und des ungelösten Streits über die Verteilung von Flüchtlingen. Nicht nur Frankreichs Staatschef Francois Hollande setzt vor den Präsidentschaftswahlen im nächsten Frühjahr verstärkt auf Sicherheit.

Die Kontrolle der EU-Außengrenze mit 1.500 zusätzlichen europäischen Grenzschützern soll im Oktober anlaufen. EU-Ratspräsident Donald Tusk sammelt Beiträge zur Sicherung der bulgarisch-türkischen Grenze für den Ernstfall. Denn die Türkei hat trotz konstruktiver Gespräche auf Expertenebene mehrfach damit gedroht, den Flüchtlings-Deal mit der EU platzen zu lassen, sollte die mit der EU vereinbarte Visabefreiung nicht zustande kommen. „Es ist sehr wichtig, dass man sich auf alle Eventualitäten vorbereitet“, sagte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ).

Der Ernst der Lage scheint allen bewusst zu sein. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte schon am Mittwoch von einer „Existenzkrise“ der EU gesprochen, die zwar durch den Brexit nicht in ihrem Fortbestand bedroht sei, aber viel zu wenig Solidarität zeige. „Wer jetzt sagt, dass in Europa alles gut läuft, braucht eine neue Brille“, meinte der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel in Bratislava. „Es ist der Moment der Wahrheit“, sagte sein belgischer Kollege Charles Michel. Europa müsse wieder „aus der Unbeweglichkeit herauszukommen“.

„Nicht-europäische, populistische und manchmal fremdenfeindliche Parteien bekommen die Oberhand. Das ist ein sehr beunruhigender Trend, der gestoppt werden muss“, warnte der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak.

Der Bratislava-Gipfel - das ist zunächst einmal der Event selbst als Hauptbotschaft. In Bratislava sollen der Wille zum Weitermachen als 27er-Gemeinsamkeit beschworen, die innere und äußere Sicherheit als Top-Priorität neben Wachstum und Beschäftigung bekräftigt werden. Für Wachstum und Jobs soll die Verlängerung des EU-Fonds für strategische Investitionen sorgen. Die geplante Mobilisierung von 500 Milliarden Euro durch großteils private Investoren bis 2020 scheint als Ziel unbestritten zu sein, aus der EU sollen ja nur 33,5 Mrd. Euro für eine entsprechende Hebelwirkung kommen.

Ohne Großbritannien scheint selbst der Traum einer EU-Armee wieder näher zu rücken. Konkrete Schritte zur Verteidigungszusammenarbeit sollen rasch definiert werden, ohne die NATO zu verdoppeln oder gar zu ersetzen.

In einem „Bratislava-Prozess“ sollen die Prioritäten in kleinen Schritten, aber rasch abgearbeitet werden. Zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge von 1957 - dem Gründungsakt der heutigen EU - soll sich die EU-Familie wieder in Rom versammeln und die Krise hinter sich lassen - so lautet jedenfalls der Plan. Die Verdoppelung des EU-Investitionsfonds (EFSI) und der Investitionsrahmen für die nordafrikanischen Flüchtlingsherkunftsländer soll bis dann stehen.

Das Vorgehen erinnert an die „Berliner Erklärung“ vor zehn Jahren, als die Europäische Union - zum 50 Jahrestag der Römischen Verträge - nach den gescheiterten EU-Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden den Lissabon-Vertrag auf Schiene brachte. Mittlerweile ist eine Vertragsänderung für die meisten EU-Staaten keine Option mehr - sie wäre zu lange, zu kompliziert und mit vielen internen Kompetenzstreitigkeiten verbunden. „Wir müssen uns auf Dinge konzentrieren, die uns einen, nicht auf solche die uns spalten“, forderte Lajcak. Kern jedenfalls zeigte sich in Bratislava optimistisch, dass Fortschritte möglich sind. „Das werden nicht die großen Revolutionen sein“, schränkte er aber ein.