Russland-Wahl: Oppositioneller Babuschkin warb bis zuletzt um Stimmen

Moskau (APA) - Der Bürgerrechtsaktivist Andrej Babuschkin gilt als einziger Vertreter der nicht im Parlament vertretenen Opposition, der am ...

Moskau (APA) - Der Bürgerrechtsaktivist Andrej Babuschkin gilt als einziger Vertreter der nicht im Parlament vertretenen Opposition, der am Sonntag reale Chancen hat, über ein Moskauer Direktmandat in die russische Staatsduma gewählt zu werden. Trotz einer chronisch unterfinanzierten Kampagne und organisatorischem Chaos kämpfte er bis zuletzt um jede Stimme. Seit Samstag 00.00 Uhr ist Wahlwerbung verboten.

Vier Stunden vor dem Ende des Wahlkampfs liegen bei Babuschkin, Politiker der liberalen Gruppe „Jabloko“ (Apfel), die Nerven blank: Manche seiner „Agitatoren“ vermitteln einen dilettantischen Eindruck, die Verteilung von Broschüren stockt wegen logistischer Probleme und die Batterien aller Megafone sind leer. „Wenn wir verlieren sollten, dann sind nicht unsere Gegner, sondern das furchtbare Chaos in unseren eigenen Reihen schuld!“, ärgert sich der Kandidat.

Nachdem eine Vertreterin der Kreml-Partei Geeintes Russland wegen eines Skandals auf ihre Kandidatur verzichtete, galt zumindest Anfang dieser Woche Wahlkreis Nummer 200 als einziger von 15 Moskauer Einmandatswahlkreisen, wo ein Vertreter der außerparlamentarischen Opposition Siegeschancen hat. Laut dem Politologen Igor Bunin haben neben Babuschkin, der Spitzenkandidat einer Putin-freundlichen Grünpartei, Oleg Mitwol, sowie Jungkommunist Denis Parfonow hier Chancen auf das Duma-Mandat. Babuschkin selbst erzählt von einer Umfrage, die ihn kürzlich bei 24 Prozent und seine Gegner bei jeweils 23 und 22 Prozent sahen.

Da allgemein mit einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung gerechnet wird, könnten wenige Stimmen den Ausschlag geben und zur paradoxen Situation führen, dass just in den USA über dieses Mandat entschieden wird. Denn Staatsbürger Russlands, die im New Yorker Generalkonsulat ihre Stimme abgeben, werden laut Entscheidung der russischen Wahlbehörde ausgerechnet im Wahlkreis Nummer 200 im Nordosten Moskaus mitgezählt. Die Russen in Österreich wiederum wählen für einen Wahlkreis in der Teilrepublik Tatarstan.

Der 52-jährige Babuschkin gilt als Urgestein der Moskauer Bürgerrechtsbewegung. Er war Abgeordneter im letzten sowjetischen Stadtparlament Anfang der 90er Jahre, engagierte sich in Nichtregierungsorganisationen für Strafgefangene und amtierte zuletzt in einem Bezirksrat im Nordosten von Moskau. Gleichzeitig hat er wie viele russische Bürgerrechtler ein Faible für Zeitgeschichte - eigene Werke zur Ortsgeschichte des Wahlkreises ließ der Kandidat nun auch im Wahlkampf verteilen. „Leider konnte ich aus budgetären Gründen nur 5.000 Stück meiner ‚Historischen Spaziergänge‘ drucken lassen“, klagt der Politiker gegenüber der APA.

Sein Wahlkampfbudget betrage lediglich 3,5 Millionen Rubel (48.000 Euro), seine Hauptgegner verfügten demgegenüber jeweils zwischen 40 und 50 Millionen Rubel (bis 670.000 Euro), erzählt er. Während der „Jabloko“-Vertreter mit seinem kommunistischen Kontrahenten ein korrektes Verhältnis pflegt und sich die beiden Kandidaten bei einem zufälligen Treffen am letzten Wahlkampfabend wechselseitig „Viel Erfolg - nur nicht in der Politik!“ wünschen, beklagt sich Babuschkin über schmutzige Methoden des Putin-Grünen, der Lügengeschichten über ihn verbreitet habe.

In diesen letzten Stunden seines Wahlkampfs hat er jedoch ganz andere Probleme: Ein im Viertel angekündigter Kurzauftritt Babuschkins scheitert daran, dass seine Helfer nicht auftauchen und er nichts zu verteilen hat. Er muss zwei junge Männer beruhigen, die mit Zwischenrufen seinen Auftritt stören und setzt sich erfolgreich gegen einen Wachmann durch, der kategorisch die Verlegung eines Wahlkampfgerüsts fordert. Dann gilt es einen Transport von Wahlkampfmaterial zu organisieren und nebenbei am Ausgang einer U-Bahn-Station auch mit potenziellen Wählern in Kontakt zu kommen.

Zuspruch findet der „Jabloko“-Politiker insbesondere bei jungen Menschen, die mit ihm wiederholt ins Gespräch kommen. Eine Gruppe Jugendlicher will sich gar mit ihm fotografieren lassen. „Mir fehlt gerade ein Zahn und ich muss aufpassen, wenn ich lache“, sagt der Kandidat, der mit Volksnähe zu punkten versucht.

Zwei Stunden vor Schluss funktioniert auch endlich ein Megafon wieder und der Wahlkampf kommt ein allerletztes Mal in Schwung: „Ich möchte Ihnen heute am letzten Tag, an dem man Wahlwerbung machen kann, zwei Broschüren schenken: Einen Leitfaden für Patienten und eine Anleitung bei Wohnungsproblemen“, spricht er in das Megafon. Mit der Verteilung seiner Materialien läuft es nun wieder besser.