Demokratie auf dem Prüfstand: Starker „Coriolan“ im Akademietheater

Wien (APA) - Was passiert, wenn die Macht des Volkes auf den Populismus der Politiker trifft? Wie weit soll Demokratie gehen und wo liegen d...

Wien (APA) - Was passiert, wenn die Macht des Volkes auf den Populismus der Politiker trifft? Wie weit soll Demokratie gehen und wo liegen die Grenzen von Herrschaft? Fragen, die heute genauso aktuell erscheinen, verarbeitete William Shakespeare in seinem Römerdrama „Coriolan“. Carolin Pienkos stellt die gebotenen Antwortmöglichkeiten im Akademietheater auf den Prüfstand und zeigt: Es ist eine Gratwanderung.

Den nicht zu gewinnenden Balanceakt auf Politikerseite stemmt Pienkos‘ Ehemann Cornelius Obonya mit Bravour. Sein Coriolan ist ein Verlorener, ein Zweifelnder, ein Gefangener zwischen Erziehungskorsett und eigenen Gefühlen. Ersteres hat seine Mutter Volumina geschnürt, die Elisabeth Orth als gestrenge, fordernde und mit allen Wassern gewaschene Matriarchin anlegt. Sie ist es, die ihren Sohn von klein auf zum Kämpfer erzogen, ja zum Führer bestimmt hat. Als er siegreich von einer Schlacht heimkehrt, soll er zum Konsul gemacht werden. Doch da hat, wie es in einer Demokratie so üblich ist, auch das Volk ein Wörtchen mitzureden. Und die Meinung des Plebs ist in diesem Rom nun mal ein Fähnchen im Wind.

In unterschiedliche Richtungen blasen es die beiden Volkstribunen Sicinia Veluta (Sylvie Rohrer) und Junius Brutus (Hermann Scheidleder). Lässt sich das Volk zunächst noch von Coriolans Glanz blenden, drehen die beiden Volkstribunen das Votum schnell wieder um, indem sie die hungernden Menschen vor Coriolans Führungsstil warnen und verbannen ihn kurzerhand, was ihnen als Sieg gegen die Obrigkeit ausgelegt wird. Doch als sich der rachsüchtige Feldherr seinen einstigen Gegnern anschließt und mit dem zuvor unterworfenen volskischen Heer auf Rom zuhält, beginnen die Bürger Roms diese Volksentscheidung zu hinterfragen. Eine erneute Wahlwiederholung gibt es hier nicht, auch wenn es sich Sylvie Rohrer an einer Stelle nicht verkneift, auf „deutschen Kleber“ zu verweisen.

Dass Shakespeares heute selten gespieltes Römerdrama in unterschiedliche Richtungen ausgelegt werden kann, bewiesen sowohl Brecht als auch die Nationalsozialisten. Carolin Pienkos geht mit Cornelius Obonya den Mittelweg: So ganz fassbar ist dieser Coriolan nicht, man heftet sich an seine Fersen, verliert aber auf dem schlingernden Weg immer wieder seine Spur. Auch er selbst schwankt zwischen Stolz und Starrsinn, Machtversessenheit und Idealen. Während seine übermächtige Mutter als Einflüsterin fungiert, fehlen seiner Frau Virgilia (Anna Sophie Krenn) die Worte, um auf ihren Mann einzuwirken. Ausgerechnet im Anführer der Volsker Tullus Aufidius (Markus Meyer) sucht er einen Freund, um gegen sein Vaterland Rom zu kämpfen.

Räumlich wie zeitlich siedelt Pienkos das Drama in einem diffusen Heute an. Abgesehen von zwei enormen Säulen links und rechts am Bühnenrand weist wenig auf den Originalzeitraum und -schauplatz hin. Als Soldaten in stilvoller Fantasieuniform, als Politiker in Hose und Hemd stürmen und taumeln die Männer (und Frauen) über die nur mit den nötigsten Requisiten ausgestattete Bühne von Walter Vogelweider. Der dunkle Raum bietet nach hinten hinaus immer wieder Durch- und Ausblicke, von oben herab schwebt eine nach vorne hin offene, massive Kulissenwand, die sich erst nach drei Stunden ganz absenkt und den Raum verkleinert. Etwas dick aufgetragen hat Pienkos diverse Licht- und Soundeffekte, die im Laufe des Abends jedoch in den Hintergrund rücken und den hervorragenden Leistungen des Ensembles den nötigen Raum geben. Langer Jubel beendete den Abend.

(S E R V I C E - „Coriolan“ von William Shakespeare im Akademietheater. Regie: Carolin Pienkos. Weitere Termine: 20. und 24. September, 11., 14., 20. und 26. Oktober. Mit u.a. Cornelius Obonya, Elisabeth Orth, Anna Sophie Krenn, Sylvie Rohrer. Infos und Karten unter www.burgtheater.at)