Altes Handwerk darf nicht sterben
Nur im Defereggental heißen die traditionell aus Filz und Loden gefertigten Hausschuhe „Fotschen“. Wurden sie früher auf jedem Hof selbst hergestellt, beherrschen heute nur noch wenige diese Kunst.
Von Christoph Blassnig
St. Veit – Über dem Tal im St. Veiter Ortsteil Moos schmiegt sich der Bauernhof der Familie Stemberger an den Hang. Oma Adelheid ist hier aufgewachsen. Von ihrer Mutter hat sie die Kunst des „Fotschenmachens“ gelernt. „Am Anfang war das gar nicht so einfach“, erzählt die Altbäuerin. „Es braucht viel Geschick, Kraft und Zeit, bis ein Paar Fotschen fertiggestellt ist.“ Früher habe man so praktisch auf jedem Hof alten Mänteln und Stoffen einen neuen Zweck gegeben.
Der hohe handwerkliche Aufwand war keine Last: „In den Wintermonaten, wenn der Schnee das Leben einschränkt, ist das genau die richtige Arbeit für die Stube“, sagt Adelheid. Und war eines der zahlreichen Kinder aus seinen Fotschen herausgewachsen, durfte sich das nächstjüngere über die Weitergabe freuen. „Es war in den Häusern einfach zu kalt für Kinderfüße. Beheizt waren früher ja nur die Küche und die Stube.“
Heutzutage würde sich diese Arbeit kaum noch lohnen, meint Adelheid. „Eben weil Kinder so schnell groß werden und eine Familie nur noch eines oder zwei hat.“
Ungezählte Male hat die Oma für ihre acht Kinder und deren Kindeskinder Fotschen hergestellt. Zu besonderen Anlässen, Geburtstagen, als Geschenk. Doch die Augen wollen nicht mehr so recht.
„Helli, ich brauche einen Fingerhut! Und fädel mir einen Zwirn in eine Nadel, bitte. Blau!“ Adelheid meint ihren Enkelsohn. Helli ist 38 Jahre alt. Er und seine Freundin Julia arbeiten mit der Oma rund um den Tisch in der Stube. Helli vernäht gerade eine Filzsohle mit den oberen Stoffschichten.
Es war im letzten Herbst, da haben die beiden Jungen Adelheid gebeten, ihnen doch das Fotschenmachen beizubringen. Sehr gerne habe sie das gemacht. Im November fiel der erste Schnee. Am Montag hat die Oma die Arbeit begonnen, am Dienstag kam Helli dazu, dann Julia, und zwei Tage später war ihr erstes eigenes Paar fertig. „Helli hat großes Talent! Und beim Vernähen ist er sehr gewissenhaft und genau, viel mehr als ich“, gesteht die Oma lächelnd. Ein echter Schuster würde in ihm stecken. Auch Julia sei sehr talentiert und habe schnell gelernt.
Inzwischen fertigen die Jungen die Hausschuhe ganz ohne Omas Unterstützung. Die jahrzehntealte, fußbetriebene Nähmaschine benutzen sie aus Überzeugung und „weil sie stark genug für die dicken Stoffe ist“.
Die Haltbarkeit handgemachter Deferegger Fotschen betrage mindestens fünf, eher zehn, oft auch fünfzehn Jahre, berichtet Adelheid. Die selbst gesponnenen Flachsgarne von früher seien nicht mehr länger die größte Schwachstelle. Lederkappen schonen die Vorderseite, manche Modelle verstärkt eine zusätzliche Gummisohle. Helli und Julia verwenden traditionelle Stoffe und Farben, doch für Damenmodelle eignen sich auch bunte Reste von Polsterstoffen aus einer nahen Tischlerei. Man wolle gerne auch Neues ausprobieren und mit Farben und Mustern Akzente setzen. Als Andenken und zum Weiterschenken gibt es auch ganz kleine Ausgaben der Deferegger Fotschen.
„Uns ging es um das Erlernen und den Erhalt einer traditionellen Kunstfertigkeit, die typisch für unser Tal ist und nicht aussterben soll“, erklärt Helli Stemberger. Und er fügt hinzu: „Heutzutage ist die Nähmaschine auch typisch für einen Mann!“
Die selbst aus dem Defereggental stammende Fernseh-Regisseurin Karin Kleinlercher dokumentierte mit Moderatorin Conny Bürgler die Fotschenherstellung am Stembergerhof. Ausgestrahlt wird diese Aufzeichnung bei ServusTV in „Hoagascht“ am 19. November um 19.40 Uhr.