USA bombardieren Regime: Droht Waffenruhe in Syrien zu scheitern?
Nach dem irrümlichen US-Beschuss von Regierungstruppen weiß niemand, wie es nun weitergeht. Ein verbaler Showdown zwischen Russland und den USA verheißt nichts Gutes.
Damaskus – In Syrien droht die zwischen dem Regime und Rebellen vereinbarte Waffenruhe bereits nach einer Woche komplett zu scheitern. Einerseits sind die Kämpfe nach Angaben von Beobachtern deutlich intensiver geworden. Andererseits belastet der Tod von mindestens 90 syrischen Soldaten bei einem vermutlich versehentlichen US-Luftangriff das Verhältnis zwischen den USA und Russland schwer.
An einem seidenen Faden hing die Waffenruhe in Syrien praktisch schon vom ersten Tag an. Aber waren die Hoffnungen auf den Beginn eines Durchbruchs in dem unsäglichen Konflikt ohnehin bereits gering, erhielten sie am Wochenende noch zusätzlich einen Dämpfer.
Feindseliger dipomatischer Schlagabtausch
Ausgerechnet in dieser heiklen Phase unterlief den USA mit ihrem Angriff auf syrische Regierungstruppen - dem ersten in ihren zwei Jahren von Luftschlägen gegen die Terrormiliz IS - ein möglicherweise folgenschwerer Irrtum. Er löste prompt einen feindseligen diplomatischen Schagabtausch zwischen Washington und Moskau aus - ein Zeichen, wie brüchig das Bündnis ist, das die beiden Seiten eingingen, um die Waffen im Bürgerkrieg zum Schweigen zu bringen.
Am Sonntag konnte niemand sagen, wie es nun weitergeht, auch mit den Plänen, in dieser Woche mit koordinierten Luftangriffen gegen den IS zu beginnen. Bricht die Waffenruhe zusammen, wäre das doppelt tragisch: Denn bis Sonntag war noch keiner der Hilfskonvois zu den notleidenden Syrern gelangt, die so dringend darauf warten.
„Eine ohnehin schon überaus komplizierte Situation ist noch byzantinischer geworden“, zitierte die „New York Times“ den Nahost-Experten Aaron Miller von der US-Denkfabrik Wilson Center. Der versehentliche Beschuss der Syrer gebe Wladimir Putin am Vorabend der UN-Vollversammlung eine Gelegenheit, die USA abzukanzeln.
So spielte sich denn bereits in der Nacht zum Sonntag ein verbaler Showdown ab, der sich gewaschen hatte. Die beiden Hauptspieler: die Washingtoner UN-Botschafterin Samantha Powers und ihr Moskauer Kollege Witali Tschurkin.
„Effekthascherei“ und ein „Taschenspielertrick“
Russland hat eine Sondersitzung des Sicherheitsrates beantragt, Tschurkin will darin loswerden, was vom amerikanischen Fehltritt zu halten ist. Aber Powers legt vor der Presse los, bevor Tschurkin im UN-Gremium richtig zum Zuge kommen kann.
Die eilige Sitzung am Abend sei „Effekthascherei“, ein „Taschenspielertrick“, um den Irrtum der USA medienwirksam auszuschlachten, hält sie den Russen vor. Als sie dann in den Sitzungssaal kommt, verlässt Tschurkin ihn wütend: „Es hat keinen Sinn, Botschafterin Power zuzuhören.“
Dann schildert er selber fast 20 Minuten lang Reportern seine Sicht. Wiederholt lässt Tschurkin durchblicken, dass der US-Angriff auf die Syrer sehr wohl ja auch Absicht gewesen sein könnte - und gar nicht, wie die Amerikaner sagten, gegen die Terrormiliz Islamischer Staat gerichtet gewesen sei. Er frage sich, so Tschurkin, ob die USA den IS überhaupt bekämpfen wolle.
„Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was der nächste Schritt sein wird“, sagt Tschurkin mit Blick auf die weitere Einhaltung der Genfer Vereinbarung über die Waffenruhe. „Dies ist kein sehr guter Moment.“ Überhaupt sei auf die Zusagen von US-Präsident Barack Obama und dessen Außenminister John Kerry kein Verlass, immer wieder grätsche deren Militär dazwischen. „Wer hat in Washington das Sagen, das Weiße Haus oder das Pentagon?“
Zwischenfall spielt Russland in die Hände
Bei aller dieser öffentlicher Empörung ist aber offensichtlich, dass der Zwischenfall Moskau in die Hände spielt. Schon seit Tagen hat Russland versucht, den USA das mögliche Scheitern der Syrien-Vereinbarung in die Schuhe zu schieben.
Wiederholt machten Putin und das russische Außenministerium Druck. Sie klagten, die USA wollten das Abkommen nicht veröffentlichen, übten ihren Einfluss auf die gemäßigte Opposition nicht aus. Die Strategie dahinter ist klar: Jede Diskreditierung der USA stärkt die Rolle Russlands in Syrien.
Selbst wenn manches der scharfen Rhetorik wieder verpuffen sollte: Ein gutes Vorzeichen für die bevorstehende UN-Generaldebatte, an deren Rand weiter über die Zukunft des Bürgerkriegslandes verhandelt werden soll, ist der Vorfall nicht.
Auch für Obama, auf dessen Schultern der Syrien-Konflikt bleiern lastet, könnte der Zeitpunkt des amerikanischen Fehlers nicht ungelegener kommen. Selbst wenn die Genfer Vereinbarung jetzt nicht völlig zusammenbrechen sollte, lässt ein derart gravierendes geheimdienstliches Versagen die USA nicht gut aussehen.
„wenn ihre Leute nicht aus Versehen mal wieder danebenschießen“
Und russische Effekthascherei oder nicht: Um Moskau kommen die USA beim Ringen um eine Lösung in Syrien nicht herum - bei allem Frust über das russische Verhalten, dem Powers am Samstagabend Luft verschaffte.
„Ernsthaft?“, fragt sie die versammelten Journalisten. „Sie berufen diese Sitzung ein? Wirklich?“ Nach etlichen blockierten Hilfskonvois und Angriffen auf Zivilisten durch das syrische Regime, die Russland allesamt unkommentiert ließ, sei die Sitzung des Sicherheitsrates für sie nichts als eine einzige Farce. Und wenn Russland die USA jetzt als Schutzmacht des IS bezeichneten, sollten sie sich schämen.
Darauf erhielt Powers eine Einladung von Maria Sacharowa, der Sprecherin des Moskauer Außenministeriums, doch einmal zusammen nach Syrien zu fahren. „Keine Angst. Mit mir wird Ihnen nichts passieren. Höchstens, wenn Ihre Leute „aus Versehen“ mal wieder danebenschießen.“ (dpa)