Drogensumpf: Eine Tirolerin erzählt vom Kampf ihrer Tochter
Eindrucksvoll und emotional berichtet eine Mutter über den Kampf ihrer Tochter gegen Drogen. Den Suchterkrankten werde zu viel geholfen, sagt die Frau. Eine Einschätzung, die Experten nicht teilen.
Von Marco Witting
Innsbruck – Über zehn lange Jahre nahm und nimmt die Tochter Drogen. Ein Jahrzehnt voller zerstörter Träume und Hoffnungen, voll mit Leid, Problemen, Hochs und Tiefs und immer wieder neuen Anläufen, aus diesem Sumpf des Giftes herauszukommen. Vor ein paar Wochen hat uns eine Mutter schriftlich die Geschichte ihrer Tochter und somit auch ihre eigene ge- und beschrieben. Aus ihrer Sicht. Und im darauf folgenden Gespräch wird klar, die Sucht der Tochter hat auch enorme Auswirkungen auf die gesamte Familie. Die Mutter, die anonym bleiben muss, hat in dieser Zeit ihre Meinung über Drogentherapien verfestigt. Heute sagt sie: „Den Suchtkranken wird zu viel geholfen.“
„Kerngesund. Bildhübsch. Mittelpunkt der Familie. Sie war gut in der Schule. Doch im Sommer zur 9. Stufe kam der Wechsel an eine erzkonservative Schule und das erste Ausgehen, der erste Vollrausch und der erste Freund. Die Schule war wohl der ausschlaggebende Fehler. Dagegen hat sie rebelliert. Begann zu rauchen. Und verbrachte immer mehr Zeit mit Freunden. Zu Hause wurde es immer schwerer, mit ihr zurechtzukommen.“ Eines Tages eskalierten die Streitereien zu Hause und der Mann der Mutter (er ist nicht der Vater) verpasste der Jugendlichen eine Ohrfeige. „Sie lief an dem Tag weg, zu ihren neuen ‚guten‘ Freunden. An diesem Tag wurde sie zum ersten Mal angejunkt.“ So beschreibt die Mutter die Anfangsphase vor über zehn Jahren. Danach begann sich die Tochter zu ritzen. Die Mutter wurde immer öfter in die Schule zitiert – und musste machtlos mit ansehen, wie ihre Tochter auch Hilfe von außen ablehnte. Elternberatung. Jugendwohlfahrt. Nichts half. „Wir wollten sie in ein Internat geben, um sie von diesen Freunden wegzuholen. Wir wollten unsere Tochter wieder.“ Doch man konnte das Mädchen nicht zwingen. So fing sie der Mutter zuliebe eine Lehre an. Zog zu ihrem Freund. „So kam sie immer wieder in die Szene rein. Tag überleben. Gas geben. Kiffen. Speed, um den Arbeitstag zu schaffen. Andere Mittel, um am Abend wieder runterzukommen.“ Der nächste Freund zog das Mädchen wieder weiter nach unten. Es gab immer wieder Wohnungswechsel. „Die finanziellen Probleme wurden immer größer. Das führte dazu, dass sie sich auf einschlägigen Seiten Geld dazuverdiente. Ich wusste immer Bescheid, sie hat immer mit mir über fast alles gesprochen. Nur ändern oder beeinflussen konnte ich sie leider nicht“, sagt die Mutter mit Resignation in der Stimme heute. Genommen habe die Tochter im Laufe der Zeit so gut wie alles.
Es folgten weitere Neustarts. Auch zuhause zog das Mädchen wieder ein. Wieder Streit. Wieder Entzug. Mehrfach sei die Tochter in Behandlung gewesen. Ein neuer Freund – das alte Suchtproblem. Irgendwann zerbrach die Ehe der Mutter. An der Erziehung daheim sei es nicht gelegen, sagt sie. „Ich habe mehrere Kinder. Sie war die Einzige, die in die Drogenszene abdriftete.“
Die Tochter zog später wieder daheim ein. War clean. Arbeitsunfähig. Und es dauerte wieder nicht lange bis zum nächsten Rückfall. „Die Drogen zu bekommen war über die alten Kollegen ein Kinderspiel. Auch als wir mit ihr in Urlaub gefahren sind, brauchte sie Stoff. Das war für mich persönlich ein Weltuntergang“, erzählt die Mutter. Nächste Liebe. Neuerlicher Entzug. Aufnahme ins Drogenersatzprogramm. Wieder blieb alles beim Alten. „Es ging immer tiefer und tiefer.“ Inklusive schwerer gesundheitlicher Folgen.
Zehn Jahre. Ein Ende dieses Zyklus ist nicht absehbar. Der letzte Entzug ist ein paar Monate her. Die Tochter ist im Drogenersatzprogramm. „Es wird den Suchterkrankten zu leicht gemacht. Auch in der psychologischen Betreuung wird alles gutgeredet“, sagt die Mutter, die auch einmal versuchte, den Kontakt zu dem Mädchen abzubrechen. Vier Monate lang. „Ich habe mich auch selber hinterfragt. Aber man hilft seinem Kind doch immer wieder.“ Klar sei: Mit dem, was die Drogenkranken im Substitutionsprogramm zu viel bekämen, würde gehandelt. Die Ersatzdrogen zu bekommen sei zu leicht. Die Mengen oft zu hoch.
„Das System erhält meine Tochter. Wenn sie kein Geld vom Staat und keine Drogen mehr bekommen, wäre das sehr wichtig. Es gibt für Menschen in so einer Situation keine Hemmschwelle mehr.“ Die Mutter erzählte dies alles nüchtern, ließ sich Emotionen nicht anmerken. Am Ende stockte aber ihre Stimme. „Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ich gebe meine Tochter nicht auf.“
„Ein Drogenersatzprogramm macht natürlich Sinn“
Innsbruck – Auch zwischen Experten beim Drogenthema und dem Kampf gegen Drogenmissbrauch gibt es stellenweise unterschiedliche Auffassungen über die Maßnahmen. Für die Leiterin der Drogenambulanz an der Innsbrucker Klinik, Yvonne Riemer, ist aber eines völlig klar: „Es steht außer Frage, dass etwa ein Drogenersatzprogramm Sinn macht.“ Zum einen würde dadurch die Beschaffungskriminalität eingeschränkt, zum anderen gebe es dadurch eine medizinische und soziale Versorgung. Zudem könne man in derartigen Fällen nicht einfach pauschal urteilen. „Es wird sicher nicht zu viel geholfen.“
Es gebe zudem auch sehr viele Menschen in Substitutionsprogrammen, die ganz normal arbeiten gehen würden und Familie hätten. „Da ist es natürlich absolut sinnvoll und niemand würde diesen Menschen etwas anmerken.“ Klarerweise gebe es auch andere Fälle. Man dürfe aber auch einen Ausstieg aus der Sucht nie aus den Augen verlieren.
Wie hoch die Zahl jener Menschen sei, die einen derartigen Ausstieg aus jahrelanger Suchterkrankung schaffen? Riemer schätzt „vielleicht fünf Prozent“. Nachsatz: „Hoch geschätzt.“ Die Arbeit von sozialen Vereinen gerade im psychologischen Bereich sei aber enorm wichtig. Anfangs war die Therapie mit Ersatzmedikamenten umstritten. Heute gilt sie als medizinisch anerkannte und generell sehr geschätzte Therapieform. (mw)