„Der Junge bekommt das Gute zuletzt“: Stermann erweitert die Palette
Wien (APA) - Eigentlich kann man Claude Raupenstrauch nur bemitleiden. Vater und Mutter sind frisch getrennt, den kleinen Bruder Bronislaw b...
Wien (APA) - Eigentlich kann man Claude Raupenstrauch nur bemitleiden. Vater und Mutter sind frisch getrennt, den kleinen Bruder Bronislaw bekommt er nicht mehr zu Gesicht und auch in der elitären Schule läuft nichts nach Wunsch. Zum Glück steht ihm Dirko zur Seite, Privattaxler und Lebenslehrer in einem. Denn: „Der Junge bekommt das Gute zuletzt“ stimmt so nämlich nur bedingt im neuen Buch von Dirk Stermann.
Der deutsche Kabarettist und Moderator, der nicht mehr aus der heimischen Kultur- und Medienlandschaft wegzudenken ist, hat für seinen dritten Roman eine klassische Coming-of-Age-Geschichte gewählt, die die für ihn typischen Seitenstränge aufweist. Einerseits wäre da das gesellschaftliche Zusammenleben in Wien mit all seinen kulturellen Ausprägungen zwischen nobler Innenstadt und Döner-Stand, andererseits die Einwebung realer Vorkommnisse von einer Wohnhausexplosion bis zur Hinrichtungsgeschichte der Stadt.
Im Zentrum steht dabei aber stets Claude, wobei sich Stermann so liebevoll um seinen Hauptcharakter kümmert wie in keinem Werk zuvor. Der 13-jährige Schüler muss mitansehen, wie sich seine Mutter mit Klein-Broni und einem peruanischen Straßenmusiker vertschüsst, während sein Vater - begeisterter, aber nur mittelmäßig erfolgreicher Posaunist - in einer neuen Beziehung sein Glück findet. Für Claude ist aber weder da noch dort Platz, er bleibt alleine zurück in der Wohnung im Ersten Bezirk, die er sich alsbald mit ungewollten Mitbewohnern teilen muss.
Seite für Seite erfährt man mehr darüber, wie der Bub plötzlich zum Erwachsenwerden gezwungen wird, dank Taxler Dirko immerhin einen Ansprechpartner und Freund hat und sich schließlich durch einen Schulwechsel in einer neuen, endlich etwas freundlicheren Umgebung wiederfindet. Nicht nur das, auch Minako lernt er am Schulschiff kennen und lieben - zunächst nur ein zartes Band, das sich immer mehr in Richtung Unzertrennbarkeit ausdehnt. Denn wenn er schon seine bisherige Familie so gut wie verloren hat, könnte er doch genauso gut eine neue gründen.
In seiner ganz eigenen Art findet Stermann für seinen Protagonisten eine Sprache, die Claude sowohl als jugendlichen Einzelgänger auf der Suche nach Sicherheit in seinem Leben zeichnet, wie auch den humoristischen Unterton aus den Vorgängerwerken „6 Österreicher unter den ersten 5“ und „Stoß im Himmel“ auffängt. Kurz und prägnant wird Amüsantes abgeliefert, ohne aber dem billigen Witz zu verfallen. Stattdessen ist es eher eine resignierend-pessimistische Sichtweise, die sich immer mehr in den Vordergrund zu drängen scheint - wäre da nicht Claudes offenkundig unbändiger Wille, sich seinem Schicksal keinesfalls kampflos zu ergeben.
Und so darf man als Leser warten auf das Gute, das diesem Buben, der oft so viel reifer und verantwortungsbewusster als seine älteren Mitmenschen (allen voran die eigenen Eltern) erscheint, versprochen wird. Der Weg dahin, sollte es sich erfüllen, ist jedenfalls gleichermaßen kurzweilig wie mitunter zu Tränen rührend. Ein weiterer Beleg dafür, dass Dirk Stermann seine literarische Stimme nicht nur gefunden hat, sondern seine stilistische wie inhaltliche Palette behände zu erweitern weiß.
(S E R V I C E - Dirk Stermann: „Der Junge bekommt das Gute zuletzt“, Rowohlt Verlag, 224 Seiten, 20,60 Euro; Buchpräsentation am 23. Oktober um 20 Uhr im Rabenhof Theater, Rabengasse 3, 1030 Wien; www.rabenhof.at)