Ungarn - Orban baute seit 2002 systematisch „mediale Hausmacht“ aus
Budapest/Wien (APA) - Es gab für Viktor Orban kaum einen traumatischeren Tag als den 21. April 2002. An diesem Tag verlor seine damals regie...
Budapest/Wien (APA) - Es gab für Viktor Orban kaum einen traumatischeren Tag als den 21. April 2002. An diesem Tag verlor seine damals regierende Partei Fidesz die Parlamentswahlen in Ungarn und musste für acht Jahre in Opposition. Der zuvor siegessichere junge Regierungschef sah vor allem einen zentralen Grund für den Verlust: Die angeblich Fidesz-feindlichen Medien im Land.
In den darauffolgenden Jahren machte er sich - zunächst als Oppositionsführer - daran, systematisch eine „Hausmacht“ im Medienbereich auszubauen. Eine besonders große Rolle spielten dabei zunächst sein langjähriger bester Freund, der Oligarch Lajos Simicska, sowie der Unternehmer Gabor Szeles.
So entstanden etwa die Nachrichtensender Hir TV und InfoRadio oder der Fernsehsender Echo TV. Auf dem Tageszeitungsmarkt wurde 2006 zum bereits bestehenden, Simicska gehörenden Blatt „Magyar Nemzet“ die ehemals liberale Zeitung „Magyar Hirlap“ als zweites Standbein hinzugefügt. Szeles übernahm die wirtschaftlich stark kriselnde Zeitung und änderte die Blattlinie völlig, wobei fast die gesamte Redaktion ausgetauscht wurde. Mit dieser Übernahme standen somit bereits zwei der vier landesweiten politischen Tageszeitungen - die anderen beiden waren die linksliberalen Blätter „Nepszabadsag“ und „Nepszava“ - der damals noch in Opposition befindlichen rechtskonservativen Partei nahe.
Nach der Erlangung der Zweidrittelmehrheit im Parlament 2010 und des fast völligen Zerfalls der linken Opposition folgte der Zugriff auf die öffentlich-rechtlichen Medien. Radio (MR), Fernsehen (MTV), der Auslandssender Duna TV sowie die Nachrichtenagentur MTI wurden unter dem Dach der Holding MTVA zusammengefasst, wobei die einzelnen Redaktionen ausgehöhlt wurden und die Holding zu einer Contentproduktionsmaschine für verschiedenen Plattformen wurde.
2015 kam die Fidesz-nahe Medienmaschinerie dann vorübergehend ins Stottern, als nach einer längeren Phase der Entfremdung plötzlich ein offener Krieg zwischen den ehemaligen Freunden Orban und Simicska ausbrach. Der Oligarch beschimpfte den Premier öffentlich auf unflätigste Weise; seine Medien begannen, regierungskritischer zu berichten. Der Großunternehmer musste nach dieser Wendung allerdings bald bedeutende wirtschaftliche Einbußen hinnehmen: Die öffentlichen Aufträge seiner Baufirmen gingen ebenso dramatisch zurück wie die öffentlichen Anzeigen in seinen Medien.
Nachdem nun einige früher Fidesz-nahe Medien durch den „Abfall“ Simicskas nicht mehr „vertrauenswürdig“ waren, schaute sich die Regierungspartei nach Alternativen um. Die angesehene Wirtschaftszeitung „Napi Gazdasag“ (Tägliche Wirtschaft) wurde bald zum regierungsnahen Flaggschiff-Blatt „Magyar Idök“ (Ungarische Zeiten) umfunktioniert. Dann ging es weiter Schlag auf Schlag: Der bedeutende Privatsender TV2 wurde kürzlich vom Orban-nahen Filmmogul Andy Vajna - Produzent von Erfolgsstreifen wie die „Rambo“-Filme, „Total Recall“ oder „Evita“ - erworben. Das größte Online-Nachrichtenportal „origo“, vormals Eigentum der Deutsche-Telekom-Tochter Magyar Telekom, wurde bald darauf an eine Firma verkauft, die in den Interessenbereich eines Verwandten von Nationalbankpräsident György Matolcsy gehören soll. Mit all diesen Veränderungen ging ein mehr oder weniger subtiles „Auf-Linie-Bringen“ der redaktionellen Arbeit einher.
Der jüngste Streich, die Schließung der oppositionellen Tageszeitung „Nepszabadsag“, ist nun der aufsehenerregendste der Reihe. Wie ungarische Medien spekulieren, sei der Verkauf der bisher im Eigentum der Wiener Investmentgesellschaft Vienna Capital Partners (VCP) von Heinrich Pecina stehenden Gruppe Mediaworks an ein Fidesz-nahes Unternehmen bereits fix, auch wenn das Unternehmen dies noch nicht öffentlich gemacht habe.
Ein weiterer „glücklicher Zufall“, den Kommentatoren gar nicht so zufällig nennen: Erst jüngst hatte Mediaworks - in dessen Portfolio unter anderem die Sportzeitung „Nemzeti Sport“, das Wirtschaftsblatt „Vilaggazdasag“ sowie zahlreiche Magazine wie die ungarische Ausgabe der Jugendillustrierten „Bravo“ gehören - den Regionalzeitungsherausgeber PLT von der deutschen Funke Mediengruppe erworben.
Durch den Ankauf von Mediaworks zum jetzigen Zeitpunkt könnte laut Beobachtern die Regierungspartei zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sich den Zugriff auf die für die Landbevölkerung besonders wichtigen Regionalblätter sichern und gleichzeitig „Nepszabadsag“ - in der kommunistischen Zeit Organ der Staatspartei MSZMP und später Flaggschiff des linksliberalen Journalismus - loswerden. Das Blatt hatte sich erst kürzlich wieder unangenehm bemerkbar gemacht und zwei Aufregergeschichten aufgedeckt: den Hubschrauberflug von Orban-Kabinettchef Antal Rogan auf eine Hochzeit und die üppige Dotierung der Freundin von Nationalbankpräsident Matolcsy als Mitarbeiterin der Notenbank bzw. von deren Stiftungen.